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Wie ich eines schönen Morgens im April das 100prozentige Mädchen sah

Erschienen am 03.11.2008
12,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442737970
Sprache: Deutsch
Umfang: 189 S.
Format (T/L/B): 1.6 x 18.8 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Fantastische Erzählungen voller Magie und Sprachgewalt! Ein Mann trifft auf seine Traumfrau und lässt sie fahrlässig ziehen. Ein anderer fühlt sich wegen eines Lötkolbens nicht mehr wohl zu Hause. Eine Japanerin sucht für ihren Mann in Hamburg eine Lederhose aus, bis sie bemerkt, dass sie ihren Mann die ganze Zeit hasste. Zwei Geschwister teilen sich seit Jahren eine Wohnung. Beide empfinden das Arrangement als zufriedenstellend. Doch dann verliebt sich die Schwester. Ein junger Mann wird von einer Frau gerufen, die ihn die Schränke im Jugendzimmer ihrer Tochter öffnen lässt. Und eine Hausfrau sitzt ohne bestimmtes Ziel im Garten und trifft dabei auf ein grünes Monster, das jeden ihrer Gedanken lesen kann

Autorenportrait

Haruki Murakami, geboren 1949 in Kyoto, ist der international gefeierte und mit den höchsten japanischen Literaturpreisen ausgezeichnete Autor zahlreicher Romane und Erzählungen. Sein Roman "Gefährliche Geliebte" entzweite das Literarische Quartett, mit "Mister Aufziehvogel" schrieb er das Kultbuch seiner Generation. Ferner hat er die Werke von Raymond Chandler, John Irving, Truman Capote und Raymond Carver ins Japanische übersetzt.

Leseprobe

Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah Eines schönen Morgens im April komme ich auf einer kleinen Seitenstraße in Harajuku an dem 100%igen Mädchen vorbei. Ehrlich gesagt, ist sie nicht besonders hübsch. Sie ist weder besonders auffällig, noch ist sie schick gekleidet. Ihre Haare sind hinten vom Schlaf verlegen. Sie ist nicht mehr jung. So an die Dreißig wird sie sein, nicht eigentlich ein Mädchen. Aber trotzdem weiß ich schon aus fünfzig Meter Entfernung: Sie ist für mich das 100%ige Mädchen. Bei ihrem Anblick dröhnt es in meiner Brust, und mein Mund ist trocken wie eine Wüste. Vielleicht gibt es einen bestimmten Typ Mädchen, der dir gefällt, mit schmalen Fesseln zum Beispiel oder großen Augen, vielleicht stehst du auf schöne Finger oder fühlst dich, warum auch immer, von Mädchen angezogen, die sich beim Essen viel Zeit lassen. Dieses Gefühl meine ich. Auch ich habe natürlich meine Vorlieben. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich im Restaurant gebannt auf die Nase des Mädchens am Nachbartisch starre. Aber den Typ des 100%igen Mädchens kann keiner definieren. An die Form ihrer Nase kann ich mich gar nicht erinnern. Ich weiß noch nicht einmal mehr, ob sie überhaupt eine hatte. Ich weiß nur, daß sie keine nennenswerte Schönheit war. Irgendwie seltsam. 'Gestern kam ich an dem 100%igen Mädchen vorbei', erzähle ich jemandem. 'Hm', antwortet er, 'war sie hübsch?' 'Nein, das nicht.' 'Also dein Typ.' 'Ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich an nichts. Weder an die Form ihrer Augen, noch daran, ob sie große oder kleine Brüste hatte.' 'Das ist sonderbar.' 'Ja, es ist sonderbar.' 'Na und', sagt er scheinbar gelangweilt, 'hast du was gemacht? Hast du sie angesprochen, oder bist du ihr nachgelaufen?' 'Nein, nichts. Ich bin einfach an ihr vorbeigegangen.' Sie ging von Osten nach Westen, ich von Westen nach Osten. An einem besonders schönen Morgen im April. Ich möchte mit ihr sprechen, und wenn nur für eine halbe Stunde. Ich möchte von ihrem Leben erfahren und ihr von meinem erzählen. Mehr als alles andere aber möchte ich die Umstände des Schicksals klären, das uns an einem schönen Morgen im April neunzehnhunderteinundachtzig in einer kleinen Seitenstraße in Harajuku aneinander vorbeigeführt hat. Bestimmt birgt es wohlige Geheimnisse, so wie eine alte Maschine aus friedlichen Zeiten. Nachdem wir uns unterhalten hätten, würden wir irgendwo zu Mittag essen, einen Woody-Allen-Film sehen oder an einer Hotelbar einen Cocktail trinken. Wenn alles gut ginge, würde ich später vielleicht mit ihr schlafen. Die Chance pocht an die Tür meines Herzens. Nur noch 15 Meter liegen zwischen ihr und mir. Also, wie soll ich sie ansprechen? 'Guten Tag. Würdest du dich kurz mit mir unterhalten? Nur eine halbe Stunde.' Das klingt ziemlich albern. Wie ein Versicherungsvertreter. 'Entschuldigung, gibt es hier in der Nähe eine 24-Stunden-Reinigung?' Das ist genauso albern. Ich habe noch nicht einmal einen Wäschesack. Wer würde mir so etwas abnehmen? Vielleicht sollte ich sie ganz offen ansprechen. 'Hallo. Du bist für mich das 100%ige Mädchen.' Nein, Quatsch. Das wird sie bestimmt nicht glauben. Und wenn, wird sie sich kaum mit mir unterhalten wollen. Ich mag für dich das 100%ige Mädchen sein, wird sie vielleicht antworten, aber du bist für mich leider nicht der 100%ige Mann. Das ist ziemlich wahrscheinlich. Und in einer solchen Situation käme ich bestimmt furchtbar durcheinander. Von einem solchen Schock würde ich mich vielleicht nie wieder erholen. Ich bin schon zweiunddreißig. So also fühlt es sich an, alt zu werden. Vor dem Blumenladen gehe ich an ihr vorbei. Ein warmer Luftzug streift meine Haut. Der Asphalt ist mit Wasser besprengt, und ringsum verbreitet sich Rosenduft. Ich kann sie nicht ansprechen. Sie trägt einen weißen Pullover und hält einen weißen Umschlag in der rechten Hand, noch ohne Briefmarken. Sie hat jemandem einen Brief geschrieben. Ihre Augen wirken sehr müde, vielleicht hat sie die ganze Nac Leseprobe