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Wilde Schafsjagd

Roman

Erschienen am 04.09.2006
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442734740
Sprache: Deutsch
Umfang: 315 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 18.5 x 12 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Haruki Murakamis meisterhafter Bestseller um ein Schaf mit übernatürlichen Kräften, ein Teilzeit-Callgirl mit den schönsten Ohren der Welt und einen Kriegsverbrecher mit Gehirntumor ist ein fantastischer Detektivroman, inspiriert von den düsteren Werken Raymond Chandlers - nur dass dieser Fall unlösbar ist. Der Geschichtenzauberer Murakami entführt in eine Welt voll bizarrer Geheimnisse, in der Realität und Fantasie zu einem virtuosen Abenteuer verschmelzen.

Autorenportrait

Haruki Murakami, geboren 1949 in Kyoto, ist der international gefeierte und mit den höchsten japanischen Literaturpreisen ausgezeichnete Autor zahlreicher Romane und Erzählungen. Sein Roman "Gefährliche Geliebte" entzweite das Literarische Quartett, mit "Mister Aufziehvogel" schrieb er das Kultbuch seiner Generation. Ferner hat er die Werke von Raymond Chandler, John Irving, Truman Capote und Raymond Carver ins Japanische übersetzt.

Leseprobe

25.11.1970 Mittwochspicknicks Von ihrem Tod erfuhr ich durch einen Freund am Telefon. Er hatte es zufällig in der Zeitung gelesen. Langsam las er mir die Notiz aus der Morgenausgabe vor. Ein ganz gewöhnlicher Artikel. Hörte sich an, als hätte man einen frisch von der Uni gekommenen Volontär daran üben lassen. Am soundsovielten Soundsovielten wurde an irgendeiner Straßenecke irgendjemand von einem Lastwagen überfahren. Gegen irgendjemanden wird wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung im Dienst ermittelt. Fast wie das Gedicht der Woche im Feuilleton. 'Wo ist denn die Beerdigung?', fragte ich. 'Hm, weiß ich nicht', sagte er. 'Hatte sie Familie?' Natürlich hatte auch sie eine Familie. Ich rief noch am gleichen Tag bei der Polizei an und bekam Adresse und Telefonnummer ihrer Eltern. Dort erkundigte ich mich nach dem Datum der Beerdigung. Höret, und es wird euch gesagt. Fragen ist alles. Ihre Eltern wohnten in der Altstadt. Ich schlug meinen Plan von Tokyo auf und markierte den Häuserblock mit einem roten Kuli. Das Haus lag wirklich in einem typischen Altstadtviertel. Ein wirres Gespinst aus U-Bahn-, S-Bahn- und Buslinien, unter- und überzogen von Abwasserkanälen, Straßen und Gässchen wie das feine weiße Netz einer Melonenschale. Am Tag der Beerdigung nahm ich von Waseda aus die Straßenbahn. Kurz vor der Endstation stieg ich aus und öffnete den Stadtplan, aber der nutzte mir so viel wie ein Globus. Bis ich in die Nähe ihres Elternhauses kam, hatte ich einige Schachteln Zigaretten gekauft und zehnmal nach dem Weg gefragt. Es war ein altes Holzhaus mit einem braunen Bretterzaun. Hinter dem Tor war links ein kleiner Garten, gerade so groß, dass man etwas damit anfangen konnte. In einem alten, unbrauchbaren Kohlebecken aus Keramik, das man in einer Ecke abgestellt hatte, standen über fünfzehn Zentimeter Regenwasser. Der Gartenboden war dunkel und feucht. Die stille Feier fand im engsten Familienkreis statt, vielleicht, weil sie mit sechzehn von zu Hause weggelaufen war. Die meisten Gäste waren ältere Verwandte. Ein knapp über dreißigjähriger Mann, wohl ihr Bruder oder Schwager, hielt die Zeremonie ab. Ihr Vater war ein kleiner Mann Mitte fünfzig. Mit einem Trauerflor um den Ärmel seines schwarzen Anzugs stand er fast bewegungslos neben dem Eingang. Irgendwie erinnerte er an regennassen Asphalt. Als ich ihm zum Abschied schweigend zunickte, nickte er wortlos zurück. Im Herbst 1969 hatte ich sie zum ersten Mal getroffen; ich war zwanzig und sie siebzehn. In der Nähe der Uni gab es ein kleines Café, wo ich mich oft mit Freunden verabredete. Der Laden war nichts Besonderes, aber man konnte dort Hardrock hören und den schlechtesten Kaffee der Welt dazu trinken. Sie saß immer am selben Platz, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, in ein Buch vertieft. Sie trug eine Brille, die einer Zahnspange ähnelte, und hatte knochige Hände, aber irgendwie war etwas Vertrautes an ihr. Ihr Kaffee war immer kalt, ihr Aschenbecher immer voll mit Zigarettenstummeln. Nur die Buchtitel änderten sich. Mal war es Mickey Spillane, mal Kenzabur? ?e, mal ein Gedichtband von Allen Ginsberg. Ihr schien alles recht zu sein, Hauptsache, es war ein Buch. Die Studenten, die im Café ein- und ausgingen, liehen ihr Bücher, und sie las sie vom ersten bis zum letzten Buchstaben, nagte sie förmlich wie Maiskolben ab. Damals verlieh noch jeder Bücher, deshalb gingen sie ihr nie aus. Damals das waren auch die Doors, die Stones, die Byrds, Deep Purple und die Moody Blues. Es knisterte in der Atmosphäre, und so gut wie alles, hatte man den Eindruck, würde augenblicklich in sich zusammenfallen, träte man nur etwas fester dagegen. Wir tranken billigen Whiskey, hatten nicht gerade aufregenden Sex, redeten uns die Köpfe heiß und liehen uns gegenseitig Bücher aus. Und langsam, aber sicher senkte sich auch über die linkischen Sechziger quietschend der Vorhang der Weltbühne. Ihren Namen habe ich vergessen. Ich könnte den Zeitungsartikel über ihren Leseprobe