Beschreibung
Einer beginnt den Krieg, einer geht als Sieger hervor, Witwen und Kinder aber zählen stets zu den Verlierern. Der Zweite Weltkrieg fand ein Ende, sie haben ihn verloren, denn die Gefallenen waren ihre Väter, die Witwen ihre Mütter. Die Welt war voller Wut und ermattet. Und sie - nur Kinder. Wolfskinder. Alvydas Slepikas Roman 'Mein Name ist Maryte' erzählt in berührender Weise die lange in Vergessenheit geratene Geschichte ostpreußischer Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Einmarsch der Roten Armee. Von Hunger und materieller Not getrieben, gingen sie über die Memel nach Litauen, um dort bei Bauern um Essen und Obdach zu betteln oder auch bei diesen für Brot und Unterkunft zu arbeiten. Der Roman beruht auf langen Gesprächen des Autors mit diesen Wolfskindern, von denen nicht wenige von litauischen Familien großgezogen wurden und einige bis heute im Land leben. Ein Buch über Liebe, Mitgefühl und Erinnerung.
Autorenportrait
ALVYDAS LEPIKAS, geb. 1966, studierte am Staatlichen Konservatorium (heute Musik-Akademie) Schauspiel (bis 1992) und Regie (bis 1994). Regisseur, Drehbuchautor für Kino- und Fernsehfilme sowie TV-Serien. Gedichtbände 'Taika tavo kraujui' (Friede deinem Blut, 1997), 'Tylos arte· jantis' (2004), Prosaband 'Lietaus dievas' (Der Regengott, 2005). Der Roman 'Mein Name ist Maryteÿ ' (2012) wurde mehrfach ausgezeichnet. Der Autor lebt in Vilnius.
Leseprobe
Haben Sie Erbarmen mit mir, mein Herr, haben Sie Mitleid, Gott wird es Ihnen vergelten, mein Kind ist schon kräftig, es kann arbeiten, fürchtet die Arbeit nicht, ich gebe es schweren Herzens weg, aber da sind noch vier, die auf mich warten, später, wenn es nicht mehr gebraucht wird, kann es heimkommen. Der Bauer, dick und mit Schnauzbart, mustert schließlich das Kind von allen Seiten, prüft die Zähne, hebt die Arme, und kommt zum Schluss, das Kind sei zu mager, er ist nicht einverstanden. Die Bauersfrau, vielleicht um sich nicht grämen zu müssen, bemüht sich nicht hinzuhören, lädt alles, was nicht verkauft wurde, auf den Wagen - sie wollen nach Hause fahren. Geh, geh, Weib, wie soll er denn nach Hause kommen, wo dich finden? Das Kind ist ein ganz liebes, aber wir sterben vor Hunger, wir sterben, kein Überleben, wie soll ich die Kleinen durchfüttern, nimm, mein Herr, meinen kleinen Sohn, nimm ihn, nur ein halber Sack Kartoffeln? Wozu sollte ich ihn brauchen, wozu? Was für ein Arbeiter soll aus ihm werden - klein und schwach, den muss man aufpäppeln, da ist nichts zu machen, ich bin nicht der Herrgott