Beschreibung
Alle an der Diskussion der Hannah-Arendt-Tage 2011 Beteiligten waren sich darin einig: Von der Hegemonie der europäischen Kultur in der Welt kann und darf man nicht mehr ausgehen. Die Welt emanzipiert sich von Europa. Das ist wohl eine angemessene Antwort auf die Frage nach der Zukunft der europäischen Kultur in der Welt. Es wurde auch darüber gestritten, was das eigentlich sei: die europäische Kultur. Die europäischen Werte, das Christentum oder vielleicht der Kapitalismus? Dabei machte Neville Alexander darauf aufmerksam, dass Europa keineswegs zu Recht ein Urheberrecht auf Werte wie Freiheit und Demokratie beanspruchen kann.
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Autorenportrait
Detlef Horster, Prof. em., lehrte in verschiedenen Funktionen an den Universitäten Utrecht (Niederlande), Kassel, Berlin (Humboldt-Universität), Port Elizabeth (Südafrika) und Zürich. Er war bis 2007 Professor für Sozialphilosophie an der Leibniz Universität Hannover.
Leseprobe
Wenn das Thema des Titels in der ein oder anderen Variation zur Debatte steht, muss geklärt werden, was denn eigentlich mit dem Begriff 'Kultur' gemeint ist, damit nicht jeder sehr Disparates darunter versteht und man aneinander vorbeiredet. Rolf Elberfeld hat sich in dem ersten hier abgedruckten Beitrag der Mühe unterzogen, dies zu tun. Er führt aus, dass das Wort 'Kultur' in seiner weiten Verwendungsweise ein Produkt der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert ist. Es wurde zunächst nur im Singular verwendet und erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts im Plural. Der Begriff ist also ein europäisches Produkt. Kultur ist laut Elberfeld eine Idee, die die Endlichkeit menschlicher Lebensformen anerkennt und sich mit dem Gedanken der geschichtlichen Veränderung verbunden hat. Auch wenn von 'Europäischer Kultur' die Rede ist, muss sichergestellt werden, was darunter zu verstehen ist. Kathinka Dittrich van Weringh unternimmt in ihrem Beitrag einen Versuch. Aber da fangen die Probleme an, denn auch das, was man unter Europa versteht, bedarf der Klärung. Als Gandhi gefragt wurde, was er von Europa halte, sagte er, es sei eine schöne Idee. Auch Neville Alexander stellt in seinem Vortrag die Frage, ob man von 'Europa' überhaupt sprechen kann. Also kann man dann auch nicht von einer 'europäischen' Kultur sprechen? Kathinka Dittrich van Weringh erläutert, dass der mühselige Prozess des Eingehens auf andere inner- wie außereuropäische Kulturen, auf deren oft sehr unterschiedliche Strukturen, historische Erfahrungen, Sitten, Traditionen und Kunstäußerungen eine ständige Herausforderung darstellt und doch unabdingbar für eine langfristige Vertrauensbildung ist. Die Bereitschaft zum Dialog sei die Stärke Europas, meint die Autorin, trotz aller Rückschläge durch lokale, regionale, nationale Egoismen in diesem einzigartigen unvollendeten, prozesshaften Europaprojekt. Die Leserinnen und Leser werden aber höchst unterschiedliche Auffassungen von dem, was europäischen Kultur ist oder sein kann, im vorliegenden Band finden. Die im Thema des Bandes anklingende Auffassung, dass Europas Kultur immer noch einflussreich auf andere Kontinente ist, wird von Ralf Schnell, was Asien betrifft, und von Neville Alexander, was Afrika betrifft, mit völlig anderen Sichtweisen und Entwicklungen konfrontiert. Schnell weist auf das Gefälle hin, das zwischen Europa und Ostasien besteht. Es handelt sich - so die Ausgangsthese um ein Bildungsgefälle, das seinen Grund auf europäischer Seite in der Unkenntnis der ostasiatischen Kulturen und ihrer Geschichte hat, das von unzutreffenden Voraussetzungen - Befürchtungen wie Vorurteilen ausgeht und zu Wahrnehmungsverzerrungen führt, zu Idealisierungen und Idyllisierungen ebenso wie zu einer Art Hybris im Bewusstsein der Überlegenheit europäischer Wirtschaft und Technik. Demgegenüber bietet die Wahrnehmung Europas und insbesondere Deutschlands aus der Perspektive ostasiatischer Länder ein vergleichsweise realistisches Bild, ein Vorzug, der seinen Grund in der Bereitschaft der nachwachsenden Generationen in Ostasien etwa in Japan, China und Korea zur Aneignung der europäischen Geschichte, ihrer Wissenschaften und ihrer Kunst besitzt. Eine Zukunft - so das Fazit des Vortrags besitzt die europäische Kultur in der ostasiatischen Welt dann, wenn sie an der Aufhebung dieses Bildungsgefälles mitwirkt und sich die ostasiatische Geschichte, Wissenschaften und Kunst aneignet. Eine ganz andere Perspektive nimmt Neville Alexander ein. Er stellt zu Beginn seines Vortrags die Frage, was es für einen Afrikaner am Beginn des 21. Jahrhunderts bedeutet, dass der Einfluss Europas auf die Weltpolitik und auf das globale Leben abnimmt. In einem historischen Rückblick zeigt er, dass die europäische Kultur nicht immer schon hegemonial in der Welt war, sondern dass sich vor 500 Jahren die heutigen Kontinente, Asien, Europa und Afrika, auf einer vergleichbaren Stufe der gesellschaftlichen und technologischen Entwicklung befanden. Allmählich gewann Europa die Vorherrschaft. Doch heute befreien sich afrikanische Staaten wieder 'von dem hegemonialen Griff Europas'. Demgegenüber gewinnen China, Indien Japan und Russland Einfluss auf Afrika. Begleitend zu dem wirtschaftlichen Austausch findet selbstverständlich auch ein kultureller Austausch statt. Aber es ist nicht mehr der hegemoniale Anspruch, den die aufstrebenden asiatischen Staaten in Bezug auf Afrika haben. Das lasse für die Zukunft auf 'die Wiederkehr Afrikas als Wiege einer neuen Menschlichkeit' im weltweiten Maßstab hoffen, ist das Fazit von Alexander. Das wäre dann zwar nicht der Untergang des Abendlandes, wohl aber ein Bedeutungsverlust seiner Kultur. (Aus der Einleitung)