Beschreibung
Ernst Mach ist nicht nur einer der einflussreichsten Naturwissenschaftler bei der Überwindung der klassischen Physik gewesen, sondern zugleich einer der beeindruckendsten philosophischen Köpfe der Moderne. Norbert Abels betrachtet Machs Theorem der Unrettbarkeit des Ich vor dem Hintergrund des sprach- und wertekritischen Perspektivismus Friedrich Nietzsches.
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Leseprobe
I. Vortrag (Anfang) 1904 veroffentlichte der osterreichische Kritiker und Literat Hermann Bahr eine auch heute noch denkwurdige Schrift. Sie trug den Titel Dialog vom Tragischen und enthielt ein Kapitel mit der Uberschrift Das unrettbare Ich. Bahr zitierte darin eine Daseinsformel des von ihm bewunderten Philosophen, Physikers und Sinnesphysiologen Ernst Mach, der sich eher als Naturforscher denn als Philosoph empfand. Dessen antimetaphysische und im besten Sinne popularwissenschaftliche Untersuchung Die Analyse der Empfindungen und das Verhaltnis des Physischen zum Psychischen wurde 1886 erstmals publiziert. Die Wirkung dieses viele Auflagen erlangenden Buches auf die Zeitgenossen war ungeheuer und darin durchaus vergleichbar mit Otto Weiningers Geschlecht und Charakter oder Sigmund Freuds epochaler Traumdeutung. Vor allem den von der impressionistischen Ästhetik inspirierten Autoren des als Jung-Wien bezeichneten Kreises, darunter Richard Beer-Hofmann, Arthur Schnitzler, Peter Altenberg, Felix Salten, Leopold von Andrian und Hugo von Hofmannsthal, geriet Machs Buch zur philosophischen Flankierung ihrer eigenen kunstlerischen Intentionen. Intentionen allesamt, die der Behauptung absoluter Werte und absoluter Wahrheiten zutiefst misstrauten. Die Rezeption der ebenso systemfeindlichen Philosophie Nietzsches, seine genealogische, aller metaphysischen und ahistorischen Wertesetzung zersetzendende Methode, begleitete gleichfalls den Beginn dieser asthetischen Moderne und der ihnen folgenden Avantgardebewegungen. Nietzsches Perspektivismus, seine Chemie der moralischen, religiosen, asthetischen Vorstellungen und Empfindungen steht der Machschen Philosophie der Empfindungskomplexe in mancherlei Beziehung sehr nahe. Bei Bahr wird dieser gemeinsame genealogische Ansatz in die heraklitische Variante Alles ist in ewiger Verwandlung - - gefasst. Das Ding an sich gibt es, so Machs und Bahrs Ansatz, schlechterdings nicht. Es gibt nichts, was zuruckbliebe, entfernte man die Farben, Tone, Warmen und dergleichen von ihm. Von Bahr stammt auch die Idee einer Brucke zwischen dem Machschen Empiriokritizismus und dem in allen Kunstformen der Epoche auftretenden Impressionismus. Menschen, welchen der Zweifel an ewigen Wahrheiten nie gekommen sei, waren, so Bahr, unmoglich dazu befahigt, jene Kunst des festgehaltenen und fluchtigen Augenblicks nachzuvollziehen. Es gibt fur den vom dialektischen Materialismus heftig kritisierten Empiriokritizismus keine richtigen oder falschen Meldungen der Sinne. Es gibt einzig jene unablassige Transformation des Seienden, die in der modernen Kognitionsforschung meist unter dem Titel Reprasentationen firmieren. Es existiert ebenso wenig hinter den wie auch immer trugerischen Erscheinungen kein Fluchtpunkt, der als transzendenter solider Kern dieser Erscheinungen und Empfindungen fungieren konnte. Arthur Schnitzlers spater auch von Joyce adaptierte neue Technik des inneren Monologs, die gleichsam unbearbeitete Darstellung des Wahrnehmungs- und Bewusstseinsstromes aus der Perspektive des die Welt erlebenden Menschen, gehort in gleicher Weise in den Raum solchen Sinnesperspektivismus. Langst haben die Hirn- und Bewusstseinsforschungen, ebenso die Cognitive Neuroscience neben David Hume auch Ernst Mach als Vater ihrer eigenen Analysen unserer Sinnessysteme entdeckt: Hier wird Bewusstsein als transitorische Innerlichkeit in der Zeit verstanden. Alles, was wir auch immer durchleben, geschieht innerhalb eines Jetzt. Dieses Jetzt als gegenwartiger Augenblick, der schon in seinem Vollzug zur Vergangenheit wird, besitzt als Substrat keine unveranderliche Instanz, kein konsistentes Ich. Der Begriff eines Subjekts, zumal eines absoluten und autonomen, ist fur Mach nichts als eine notwendig erscheinende denkokonomische Konstruktion. Nach Ernst Machs Elemententheorie sind uns von den Korpern Sinnesinhalte, von ihnen ausgeloste Empfindungen, gegeben. Die Außenwelt, welche die psychisch-physische Konzeption als klare Demarkationslinie zwischen Subjekt und Objekt nicht mehr aufrechterhalten will, und das fragile Ich sind durch eine unbegrenzte Zirkulation und Infiltration von Farben, Tonen, Warmen, Raumen und Drucken in unaufhorlicher Korrespondenz miteinander. Dass dennoch die Annahme von andauernden Dingen statuiert wird, liegt lediglich an dem Bedurfnis nach Kategorisierung bestimmter Elementengruppen. Sie ist notwendig, damit in dem Gewoge der Empfindungen die Summen der bleibenden Glieder gegenuber den veranderlichen, namentlich wenn wir auf die Stetigkeit des Ubergangs achten, immer so groß ist, dass sie uns zur Anerkennung des Korpers als desselben genugend erscheint. (1) Die Annahme einer Außenwelt, einer Dingwelt resultiert aus dem gleichen denkokonomischen Grund wie die Statuierung eines Naturgesetzes oder die Unterstellung eines autonomen Ichs. Die gesamte materielle Welt wird aufgelost in Elemente, die ihrer sinnlich-psychischen Herkunft wegen auch mit gleicher Bedeutung als Empfindungen bzw. Empfindungskomplexe zu verstehen sind. Erkenntnisziel ware es - im gleichsam phanomenologischen Sinn -, die Erforschung der Verbindung, des Zusammenhanges, der gegenseitigen Abhangigkeit dieser gleichartigen Elemente aller Gebiete als die einzige Aufgabe der Wissenschaft anzusehen. (2) Dies ist Mach zufolge jene, die endgultige Entfernung des anachronistischen Dualismus zwischen Subjekt und Objekt aufhebende Theorie eines einheitlichen monistischen Baus. Konsequent in seiner Weitreichigkeit radikalisiert, navigiert diese Vorstellung in den Raum des Solipsismus und damit in die Gewissheit, dass die Welt nur meine Vorstellung sein kann. Mach hat sich in seiner Elemententheorie mehrfach auf Hume bezogen, dessen Treatise of human understanding zu dem Schluss gelangte, dass alles, was uns jemals bewusst sein kann, Perzeptionen (perceptions) sind und dass es keinen einzigen Eindruck geben kann, der Konstanz und Identitat in sich zu bergen vermag, denn die Wahrnehmungen folgen einander im zeitlichen Fluss und existieren niemals simultan. Alles wahrgenommene Außen ist ein Konstrukt der Wahrnehmung, das Ich nichts anderes als ein transitorisches Perzeptionsbundel. Mach ubernimmt, bisweilen explizit auf Hume verweisend, diese Grundannahme und flankiert sie mit den mannigfaltigsten sinnesphysiologischen Analysen. Das Seiende ist exklusiv als Empfindung zu denken, welcher nichts Empfindungsloses mehr zu Grunde liegt. Richard Avenarius, neben Mach der zweite maßgebliche Reprasentant des empiriokritizistischen und psychophysischen Monismus, worin alle Erkenntnisakte genuin psychologische Akte sind und der Weltinhalt auf subjektiven Vorstellungen fußt, bekräftigt diese Annahme gleichfalls. Einzig Sinneserfahrungen ist das Wirklichkeitsattribut zuzuerkennen. Denkinhalte erklart Avenarius zu Scheinbegriffen, denen anstelle einer nicht existierenden Wahrheit nur ein provisorischer Nutzlichkeitswert eignet. Die Hypostasierungen aller Fiktionen einer grundlegenden Substanz wurzeln nicht zuletzt in den denkokonomischen Implikationen der Sprachentwickelung, nicht aber in einem real außer uns befindlichen Raum. Es zeigt auch der Ich-Begriff eine nur noch fiktionalisierende Konzession an die Allgemeinsprache an. Zwischen dem Ich und dem Ding herrscht keine Differenz, beide Instanzen erweisen sich als Elementenkomplexe. Das Ich ist eine logische Konsequenz der Elimination des Metaphysischen, es ist nur ein Wort. - Die cartesianische Inthronisation dieses Ich als ein gleichsam souveränes Subjekt von Gedanken fallt damit dem metaphysischen Illusionismus anheim. Descartes substanzdualistische Setzung von geistiger res cogitans und materieller res extensa - substantia cogitans versus substantia corporea -, sein Wahrheitsbeweis aus dem bloßen Deduktionsschluss, Sinnestauschungen erkennen zu konnen, kann in einer empirisch ausgerichteten Sinnesphysiologie keine Geltung mehr beansp...