Beschreibung
Als Gertrude Bell im Januar 1905 zu einer ihrer Reisen in den Nahen Osten aufbrach, wollte sie dort vor allem byzantinische und römische Ruinen studieren. Wie sich später herausstellen sollte, traf sie damit die Vorbereitungen für ihre spätere Mission als Beraterin der englischen Regierung, bei der es um die Neuaufteilung des Nahen Ostens ging. Mit ihrer Karawane und einigen wenigen einheimischen Bediensteten drang sie in den Wüsten und Bergen Syriens, Palästinas und des Libanon in Gebiete vor, die vor ihr noch kaum ein Europäer, geschweige denn eine Frau betreten hatte. Selbstbewusst suchte sie den Kontakt zu Scheichs und Stammesführern, unter deren Schutz es ihr gelang zwischen den rivalisierenden Stämmen hin und her zu reisen. Sie lauschte den Geschichten von Schafhirten, saß mit Soldaten am Lagerfeuer, in den schwarzen Zelten der Beduinen und den Besuchszimmern der Drusen. Sie überschritt geographische und soziale Grenzen, setzte Konventionen außer Kraft, denn die englischen Frauen sind sonderbar. Auf der einen Seite sind sie vermutlich die größten Sklavinnen der Konventionalität. Wenn sie aber einmal damit gebrochen haben, dann richtig, als wollten sie sich rächen. - So stand es 1907 in einer Rezension dieses Buches in der New York Times.
Autorenportrait
Gertrude Bell, geboren 1868 in Washington bei Newcastle, war Historikerin, Archäologin, Sprachwissenschaftlerin, Übersetzerin, Politikerin und Spionin - und eine großartige Schriftstellerin. Als Tochter des Stahlmagnaten und liberalen Politikers Thomas Hugh Bell in eine der reichsten britischen Familien geboren, schloss sie 19-jährig in Oxford ihr Studium der Neueren Geschichte ab: mit Bravour, aber ohne Titel - der stand in England bis 1920 Frauen nicht zu. Sie lernte Arabisch, Persisch und Türkisch und begann ab 1892 den Orient zu bereisen. Von 1915 bis 1925 hatte die Königin der Wüste als Beraterin von Winston Churchill eine Schlüsselrolle in der Neuordnung des gesamten Nahen Ostens inne. Über ihre Reisen nach Persien, Syrien, Irak, Palästina schrieb sie zahlreiche und sehr erfolgreiche Bücher. Sie starb mit 58 Jahren in Bagdad. Susanne Gretter studierte Anglistik, Romanistik und Politische Wissenschaft in Tübingen und Berlin. Sie lebt und arbeitet als Verlagslektorin in Berlin. Sie ist Herausgeberin der Reihe 'Die kühne Reisende'. Ebba D. Drolshagen hat in Frankfurt/Main, Chicago und Oslo studiert und seither zahlreiche Romane und Sachbücher aus dem Englischen und Norwegischen übersetzt. Daneben ist sie Autorin mehrerer Sachbücher, darunter 'Wie man sich allein auf See einen Zahn zieht' (Corso 2015) und 'Gebrauchsanweisung für Norwegen' (Piper 2014).
Leseprobe
Am Abend kam Namrud mit der Neuigkeit, dass Gäste in seine Höhle eingefallen seien. Ein oder zwei Meilen entfernt von uns standen Zelte der Sukhur, (der überwiegende Teil des Stammes befand sich noch weit im Osten, wo die Winter milder sind), und der heftige Regen war den männlichen Bewohnern zu viel geworden. Sie waren auf ihre Pferde gestiegen und nach Tneib geritten, Frauen und Kinder ließen sie allein zurück, sie mussten zusehen, wie sie durch die Nacht kamen. Ein wenig Gesellschaft nach diesem langen, nassen Tag schien verlockend, also schloss ich mich ihnen an. Namruds Höhle läuft tief in den Berg hinein, so tief, dass sie möglicherweise bis in die Mitte des Tneib-Berges reicht. Der erste große Raum ist offenbar eine natürliche Höhle, nur die niedrigen Schlafplätze und die Futtertröge für das Vieh sind in den Fels gehauen. Ebenfalls in den Fels gehauen ist eine Öffnung, die in einen kleineren Raum führt, hinter dem, wie man mir versicherte, weitere liegen. Ich habe sie nicht in Augenschein genommen, die heiße, stickige Luft und die dichten Fliegenschwärme hielten mich von weiteren Erkundungen ab. Das wilde und ursprüngliche Bild, das die Höhle an jenem Abendbot, hätte selbst das abenteuerlustigste Gemüt zufrieden gestellt. In ihrer Mitte saßen zehn, zwölf Männer in regennassen, gestreiften Gewändern und roten Lederstiefeln um ein Reisigfeuer, in dessen Glut drei Kaffeetöpfe standen, unverzichtbar für jede Wüsten-Geselligkeit. Hinter ihnen kochte eine Frau auf einem helleren Feuer Reis, das ein Flackern auf die hintere Höhlenwand warf und Namruds Vieh beschien, das aus den Felskrippen Häcksel fraß. Man räumte mir im Kreis einen nahezu schlammfreien Platz ein und reichte mir eine Tasse Kaffee, dann ging das Gespräch weiter, es dauert so lange, wie ein Mann braucht, um fünf Mal seine arabische Pfeife zu rauchen. Es ging vor allem um die Missetaten der Regierung, denn der Arm des Gesetzes, besser gesagt: die gepanzerte Faust einer unfähigen Regierung, ist für die Wüstenränder eine ständige Bedrohung. Die war in diesem Jahr noch größer geworden, weil die Erfordernisse des Krieges zu einigen furchtbaren Maßnahmen geführt hatten.