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Schwarz auf Rot

Oberinspektor Chens dritter Fall

Erschienen am 08.08.2005
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552053519
Sprache: Deutsch
Umfang: 304 S.
Format (T/L/B): 2.8 x 21.9 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Oberinspektor Chen erhält ein Angebot, dem er nicht widerstehen kann: Für den Großkapitalisten Gu soll er die Projektbeschreibung zu einem riesigen Neubaukomplex in Shanghai ins Englische übersetzen. Doch kaum wendet sich Chen dem lukrativen Auftrag zu, geschieht ein Mord. Die Ermordete galt als Dissidentin, die einen zur Landarbeit verbannten Dichter geliebt und nach dessen Tod einen viel beachteten und rasch verbotenen Roman geschrieben hatte. Das bringt Chen auf eine literarische Fährte. "Qiu Xiaolongs Kriminalromane sind fremdartig schön. Man hat das seltene Gefühl, China plötzlich verstehen zu können." (Andreas Ammer, Bayerischer Rundfunk)

Autorenportrait

Online-Special

Leseprobe

Hauptwachtmeister Yu stand vor der schwarzlackierten, soliden Eichentür des Vordereingangs und berührte den glänzenden Messingklopfer, der dieses shikumen-Haus offenbar schon seit seiner Errichtung zierte. "Das Gebäude hat zwei Eingänge", erklärte Alter Liang. "Die Vordertür kann man von innen verriegeln. Normalerweise wird nach neun Uhr abends abgeschlossen. Und dann gibt es noch den Hintereingang, der auf eine kleine Seitengasse führt." Für Hauptwachtmeister Yu, der nicht erwähnt hatte, daß er selbst seit vielen Jahren in einem ähnlichen Gebäude wohnte, war diese Erklärung unnötig, doch er hörte geduldig zu. Sie überquerten den Hof und gelangten in die Gemeinschaftsküche. In diesem Raum drängten sich die Kohleherde von zwölf und mehr Familien, samt Geschirr, Reihen von Briketts und abgeteilten Wandschränken. Yu zählte fünfzehn Herde. Am hinteren Ende der Küche befand sich eine Treppe, die sich insofern von der in seinem Haus unterschied, als man auf dem Absatz einen weiteren Raum abgeteilt hatte. Dieses zwischen Parterre und erstem Stock gelegene tingzijian galt allgemein als eines der schlechtesten Zimmer in einem shikumen-Haus. "Gehen wir hinauf in Yins Zimmer. Aber seien Sie vorsichtig, Hauptwachtmeister, die Stufen sind sehr schmal. Ist das nicht ein Zufall", fuhr Alter Liang fort, "daß in den dreißiger Jahren so mancher Schriftsteller in einem solchen Kämmerchen hauste? Ich erinnere mich, daß man sogar von 'Treppenkammerliteratur' sprach, wenn die Autoren sehr arm waren. In unserem Viertel hat vor 1949 ein berühmter tingzijian-Autor gelebt, aber mir fällt sein Name nicht ein." Yu konnte ihm auch nicht weiterhelfen, meinte aber, den Begriff schon einmal gehört zu haben. Er fragte sich, wie diese Schriftsteller sich bei all dem Getrappel auf der Treppe konzentrieren konnten. "Sie haben eine Menge gelesen", sagte Yu, mittlerweile überzeugt, daß der Nachbarschaftspolizist nicht nur ein unermüdlicher Redner, sondern auch ein Meister der Abschweifung war. Die Tür war versiegelt. Alter Liang wollte gerade den Papierkleber entfernen, als die vorwurfsvolle Stimme einer Bewohnerin ertönte: "Genosse Alter Liang, Sie müssen kommen und uns helfen. Dieser herzlose Mann hat seiner Familie seit über zwei Monaten nicht einen Yuan gegeben." Ein Familienkrach, vermutete Yu. Das kam ihm gerade recht. "Sie brauchen mich nicht zu begleiten, Alter Liang", sagte Yu. "Sie haben so viele andere Pflichten. Das hier wird ohnehin eine Weile dauern. Anschließend sollten wir uns mit dem Nachbarschaftskomitee zusammensetzen. Könnten Sie das arrangieren?" "Wie wäre es um zwölf Uhr im Büro?" fragte Alter Liang. "Aber bevor ich Sie verlasse, Hauptwachtmeister Yu: Hier ist ein ausführlicher Bericht über den Tatort. Insgesamt drei Seiten." Yu überflog den Bericht, während er, auf dem Treppenabsatz stehend, den Alten Liang in der Gemeinschaftsküche verschwinden sah. In der Akte, die er im Bus gelesen hatte, war der Tatort mit einem Satz als "praktisch unbrauchbar" bezeichnet worden. Kaum etwas in Yins Zimmer war unberührt geblieben; das lag an der Art und Weise, wie der Leichnam entdeckt worden war. Ein Assistent, der zusammen mit Doktor Xia Fingerabdrücke nehmenwollte, sagte, aus der Vielzahl an Abdrücken und Schmierern auf allen Oberflächen seien so gut wie keine Schlüsse zu ziehen. Der Bericht lautete folgendermaßen: Am Morgen des 7. Februar war Lanlan, eine Bewohnerin aus dem ersten Stock des Ostflügels, etwa um drei Viertel sieben vom Gemüsemarkt zurückgekehrt. Als sie die Treppe hinaufging, kam sie an Yins Zimmer vorbei. Normalerweise war deren Tür geschlossen. Es war bekannt, daß Yin früh am Morgen im Volkspark Tai-Chi übte und in der Regel nicht vor acht Uhr zurückkam. Doch an diesem Morgen stand die Tür ein wenig offen. Es ging sie zwar nichts an, aber Lanlan registrierte es, weil es ungewöhnlich war. Sie bückte sich, um ihren Schuh zuzubinden, und spähte durch den Türspalt. Dabei bemerkte sie ... Leseprobe