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Die fernen Stunden

Roman

Erschienen am 08.12.2010
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783453290945
Sprache: Deutsch
Umfang: 720 S.
Format (T/L/B): 5 x 22 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Ein geheimnisvoller Brief, ein verfallenes Schloss, eine unerfüllte Liebe Es beginnt mit einem verloren geglaubten Brief. Ein halbes Jahrhundert hat er darauf gewartet, gelesen zu werden. Die Suche nach dem Absender führt die junge Edie nach Milderhurst Castle, wo seit Jahrzehnten die exzentrischen Blythe-Schwestern leben. Als Edie das verfallene Schloss betritt, beginnt sie zu ahnen, dass hinter den alten Mauern der Schlüssel zur rätselhaften Vergangenheit ihrer Mutter liegt. London 1939: Als die ersten Bomben auf die Stadt fallen, befindet sich die zwölfjährige Meredith mit einer Gruppe evakuierter Kinder auf dem Weg nach Kent, wo sie Zuflucht bei einer fremden Familie findet. Staunend und eingeschüchtert zieht sie auf das herrschaftliche Milderhurt Castle, wo die siebzehnjährige Juniper mit ihren Zwillingsschwestern und ihrem Vater, dem bekannten Schriftsteller Raymond Blythe, lebt. Sie taucht ein in eine Welt der Geschichten und der Fantasie - bis etwas geschieht, das das Leben des Mädchens für immer verändert. Nie ist sie nach Milderhurst zurückgekehrt, doch das Auftauchen eines lange verschollenen Postsacks führt ihre Tochter Edie auf die Spur einer geheimnisvollen Vergangenheit. Innerhalb der düsteren Gemäuer kommt mehr ans Licht, als Edie sich je hätte vorstellen können. Damals geriet auch die Welt der jungen Juniper Blythe aus den Angeln, doch vielleicht ist es noch nicht zu spät, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu versöhnen. Wieder erschafft Kate Morton eine Welt voller Zauber und Geheimnisse, die einen bis zur letzten Seite fesselt.

Leseprobe

Schsch! Hörst du ihn? Die Bäume hören ihn. Sie wissen als Erste, dass er kommt. Horch! Im tiefen, dunklen Wald erzittern die Bäume, ihre Blätter rascheln wie Silberfolie, ein verstohlener Wind geistert und schlängelt sich glitzernd durch ihre Kronen und flüstert, dass es bald anfangen wird. Die Bäume wissen es, denn sie sind alt und haben es schon vielmals erlebt. Es ist Neumond. Es ist Neumond, wenn der Modermann kommt. Die Nacht hat sich weiche Lederhandschuhe übergezogen und ein schwarzes Laken über dem Land ausgebreitet, eine List, eine Verkleidung, ein Bann, damit alles in süßem Schlaf schlummert. Undurchdringliches Dunkel. Doch auch die Dunkelheit hat ihre Nuancen, ihre Konturen. Schau: Der dichte Wald ist ein rauer Pelz, die Felder sind eine Flickendecke, das Wasser im Schlossgraben glänzt wie Sirup. Und dennoch. Wenn du nicht ganz großes Pech hast, siehst du nicht, dass sich etwas bewegt hat, dort, wo sich nichts regen dürfte. Und du kannst dich glücklich schätzen, denn niemand, der gesehen hat, wie der Modermann sich erhebt, lebt lange genug, um später davon zu berichten. Da siehst du? Der stille, schwarze Schlossgraben, der schlammige Schlossgraben liegt nicht mehr spiegelglatt da. Eine Blase hat sich gebildet, wo er am breitesten ist, eine große Blase, ein leichtes Kräuseln rundherum, eine Ahnung. Aber du hast dich abgewendet! Und das war klug. Ein solcher Anblick ist nichts für deinesgleichen. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit lieber dem Schloss zu, denn auch dort regt sich etwas. Hoch oben im Turm. Schau hin, und du wirst es sehen. Ein kleines Mädchen schlägt seine Decke zurück. Man hat es Stunden zuvor zu Bett gebracht; im Nebenzimmer schnarcht seine Kinderfrau leise, träumt von Seife und Lilien und hohen Gläsern mit warmer, frischer Milch. Aber irgendetwas hat das Mädchen geweckt. Vorsichtig setzt es sich auf, rutscht über das saubere weiße Laken, stellt die blassen, schmalen Füße auf den Holzboden. Kein Mond steht am Himmel, den es anschauen oder der ihm Licht spenden könnte, und doch fühlt es sich zum Fenster hingezogen. Das blasige Glas ist kalt; das Mädchen spürt das Flirren der eiskalten Nachtluft, als es auf das halbhohe Bücherregal mit den ausrangierten Kinderbüchern klettert, den Opfern seiner Ungeduld, erwachsen und flügge zu werden. Es zieht das Nachthemd über die blassen Beine und legt das Kinn in die Mulde, die sich zwischen den Knien bildet. Die Welt ist da draußen, Menschen bewegen sich darin wie Aufziehpuppen. Das alles will es sich demnächst mit eigenen Augen ansehen. Zwar sind alle Türen in diesem Schloss mit schweren Schlössern und die Fenster mit Riegeln versehen, aber sie dienen dazu, den dort draußen nicht hereinzulassen, nicht dazu, das Mädchen festzuhalten. Der dort draußen. Das Mädchen hat Geschichten über ihn gehört. Er ist eine Geschichte. Er ist eine alte Legende, und die Riegel und Schlösser sind Überreste einer Zeit, als die Menschen noch an solche Dinge glaubten. An Gerüchte über Ungeheuer in Schlossgräben, die auf der Lauer lagen, um Jagd auf schöne Jungfrauen zu machen. Über einen Mann, dem vor langer Zeit ein Unrecht getan wurde und der immer und immer wieder auf Rache sinnt. Aber das kleine Mädchen - es würde finster dreinblicken, wenn es wüsste, dass man es so bezeichnet - fürchtet sich nicht mehr vor den Ungeheuern und Märchen seiner Kindheit. Es ist unruhig. Es ist ein Kind der modernen Zeit und es ist auch nicht mehr klein und es will endlich fort. Dieses Fenster, diese Burg können ihm nichts mehr bieten, aber vorerst muss es sich damit begnügen, und so schaut es niedergeschlagen hinaus. Da draußen, in der Ferne, im Tal zwischen den Hügeln, sinkt das Dorf in den Schlaf. Ein dumpf rumpelnder Zug, der letzte an diesem Abend, kündigt seine Ankunft an: ein einsamer Ruf, der unbeantwortet bleibt. Der Bahnhofswärter mit Schirmmütze stolpert heraus, um die Kelle zu heben. Im nahe gelegenen Wald begutachtet ein Wilderer sein