Beschreibung
Die Abenteuer eines Forschers im Urwald von Brasilien Er zog aus, die Pirahã im brasilianischen Urwald zum Christentum zu bekehren, doch am Ende war er es, der durch die Begegnung mit diesen auf ihre Weise glücklich lebenden Menschen seinen Glauben verlor. Fesselnd erzählt der Abenteurer und Forscher Daniel Everett von einer völlig fremden Welt, die ihn mit einer ungewöhnlichen Sprache sowie einer ganz anderen Art zu denken konfrontierte. Als Daniel Everett 1977 mit Frau und Kindern in den brasilianischen Urwald reiste, wollte er als Missionar den Stamm der Pirahã, der ohne Errungenschaften der modernen Zivilisation an einem Nebenfluss des Amazonas lebt, zum christlichen Glauben bekehren. Er begann die Sprache zu lernen und stellte schnell fest, dass sie allen Erwartungen zuwiderläuft. Die Pirahã kennen weder Farbbezeichnungen wie rot und gelb noch Zahlen, und folglich können sie auch nicht rechnen. Sie sprechen nicht über Dinge, die sie nicht selbst erlebt haben - die ferne Vergangenheit also, Fantasieereignisse oder die Zukunft. Persönlicher Besitz bedeutet ihnen nichts. Everett verbrachte insgesamt sieben Jahre bei den Pirahã, fasziniert von ihrer Sprache, ihrer Sicht auf die Welt und ihrer Lebensweise. Sein Buch ist eine gelungene Mischung aus Abenteuererzählung und der Schilderung spannender anthropologischer und linguistischer Erkenntnisse. Und das Zeugnis einer Erfahrung, die das Leben Everetts gründlich veränderte.
Autorenportrait
Daniel Everett, geboren 1951 in Kalifornien, ist ein amerikanischer Sprachwissenschaftler. 1977 reiste er zum ersten Mal als Missionar zu den Pirahã in das brasilianische Amazonasgebiet, widmete sich jedoch bald nur noch der Erforschung ihrer Sprache und Kultur.
Leseprobe
"Schau! Da ist er, Xigagai, der Geist." "Ja, ich sehe ihn. Er bedroht uns." "Kommt alle her, seht euch Xigagai an! Er ist am Strand!" Ich erwache aus tiefem Schlaf. Habe ich geträumt oder tatsächlich dieses Gespräch mit angehört? Es ist halb sieben morgens an einem Samstag im August, in der Trockenzeit des Jahres 1980. Die Sonne scheint bereits, es ist aber noch nicht allzu heiß. Eine warme Brise weht vom Maici herauf, dem Fluss vor meiner bescheidenen Hütte, die auf einer Lichtung am Ufer steht. Ich öffne die Augen und sehe über mir das mit Palmwedeln gedeckte Dach, dessen Gelb vom Staub und Ruß vieler Jahre grau geworden ist. Beiderseits meiner Behausung stehen zwei ähnlich gebaute, aber kleinere Hütten der Pirahä. Dort wohnen Xahoabisi, Kohoibiiihiai und ihre Familien. Schon oft habe ich den Morgen bei den Pirahä erlebt, wenn der schwache Rauchgeruch von ihren Herdfeuern herüberweht und die brasilianische Sonne mein Gesicht wärmt. Ihre Strahlen werden von meinem Moskitonetz gedämpft. Normalerweise lachen die Kinder, spielen Fangen oder weinen lautstark, weil sie gestillt werden wollen. Überall im Dorf hallen die Geräusche wider. Hunde bellen. Wenn ich hier die Augen aufschlage und benommen aus einem Traum in die Wirklichkeit trete, starrt mich häufig ein Pirahä-Kind oder auch ein Erwachsener an. Sie spähen zwischen den paxiuba-Palmenmatten hindurch, die die Seitenwände meiner großen Hütte bilden. Aber heute Morgen ist es anders. Ich bin jetzt völlig bei Bewusstsein, aufgeweckt durch den Lärm und die Rufe der Pirahä. Ich setze mich auf und sehe mich um. Ungefähr sechs Meter von meinem Lager entfernt, auf der Uferböschung des Maici, hat sich eine Menschenmenge versammelt. Alle schreien und gestikulieren energisch. Sie schauen ans andere Ufer, auf eine Stelle gegenüber von meiner Hütte. Ich stehe auf, um besser sehen zu können - an Schlaf ist bei dem Lärm ohnehin nicht mehr zu denken. Ich hebe meine Sporthose vom Boden auf und achte genau darauf, dass sich keine Taranteln, Skorpione, Hundertfüßer oder andere unerwünschte Gäste in ihr niedergelassen haben. Ich ziehe sie an, schlüpfe in meine Flipflops und trete aus der Tür. Die Pirahä stehen in lockeren Gruppen gleich rechts von meiner Hütte am Flussufer. Ihre Erregung wächst. Ich sehe, wie Mütter den Weg hinuntereilen, während ihre Kinder sich bemühen, die Brust im Mund zu behalten. Die Frauen tragen die ärmel- und kragenlosen, halblangen Kleidungsstücke, die sie bei der Arbeit wie auch beim Schlafen anhaben. Von Staub und Rauch sind sie dunkelbraun. Die Männer sind in Turnhosen oder Lendentücher gekleidet. Keiner von ihnen hat Pfeil und Bogen bei sich - ich bin erleichtert. Kleine Kinder sind nackt, ihre Haut ist ständig den Elementen ausgesetzt und ledrig-braun. Die Babys haben Hornhaut am Gesäß, weil sie dauernd auf dem Boden herumrutschen, eine Art der Fortbewegung, die sie aus irgendeinem Grund gegenüber dem Krabbeln bevorzugen. Alle sind fleckig von Asche und Staub, die sich auf ihnen ansammeln, wenn sie schlafen oder auf dem Boden am Feuer sitzen. Noch ist die Luft zwar feucht, aber nur um die zwanzig Grad warm; gegen Mittag werden es 38 Grad sein. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen. Dann erkundige ich mich bei Kohoi, meinem wichtigsten Sprachlehrer, was da los ist. Er steht rechts von mir. Sein kräftiger, schlanker brauner Körper ist angespannt angesichts dessen, was er betrachtet. "Siehst du ihn nicht da drüben?", fragt er ungeduldig. "Xigagai, eines der Wesen, die über den Wolken wohnen. Er steht am Strand und schreit uns an, sagt uns, dass er uns töten wird, wenn wir in den Dschungel gehen." "Wo?", frage ich. "Ich kann ihn nicht sehen." "Na, genau da", gibt Kohoi gereizt zurück und starrt auf die Mitte des offenkundig leeren Strandes. "Im Dschungel hinter dem Strand?" "Nein! Da am Strand. Sieh doch!", erwidert er empört. Wenn ich mit den Pirahä im Dschungel bin, übersehe ich regelmäßig Tiere, die ihnen auffallen. Meine unerfahrenen Augen sehen e Leseprobe