Beschreibung
Rom im Oktober. Zwei junge Menschen, Teresa und Nino, begegnen sich vor einem Theater. Ihre Lebenseinstellung könnte nicht unterschiedlicher sein, und doch wagen sie es, sich aufeinander einzulassen.
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Hersteller:
nonsolo Verlag UG
Alessandra Ballesi-Hansen
info@nonsoloverlag.de
Hildastrasse 5
DE 79102 Freiburg im Breisgau
Autorenportrait
Paolo Di Paolo (Rom, 1983) gehörte 2003 zu den Finalisten des Premio Italo Calvino per linedito und des Premio Campiello Giovani. Seine Romane Raccontami la notte in cui sono nato (2008), Dove eravate tutti (2001, Premio Mondello und Super Premio Vittorini), Mandami tanta vita (2013, Premio Salerno Libro dEuropa, Premio Fiesole Narrativa und Finalist des Premio Strega), sowie Una storia quasi solo damore (2016) und Lontano dagli occhi (2019) sind alle bei Feltrinelli erschienen. Viele seiner Bücher sind aus Gesprächen entstanden - u. a. mit Indro Montanelli, dem er den Band Tutte le speranze (2014, Premio Benedetto Croce) gewidmet hat, aber auch aus Begegnungen mit Antonio Debenedetti, Dacia Maraini, Raffaele La Capria, Nanni Moretti und Antonio Tabucchi, dessen Viaggi e altri viaggi (Feltrinelli, 2010) er redaktionell betreut hat. Darüber hinaus veröffentlichte er unter anderem Ogni viaggio è un romanzo (Laterza, 2007), die Kinderbücher La mucca volante (2014, Finalist Premio Strega Ragazze e Ragazzi) und Giacomo il signor bambino (2015, Premio Rodari) sowie das Theaterstück Istruzioni per non morire in pace (2015). Etliche seiner Werke wurden in verschiedene europäische Sprachen übersetzt. Er schreibt für la Repubblica und LEspresso.
Leseprobe
FAST NUR EINE LIEBESGESCHICHTE Aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt In jede Kindheit ragten damals noch die Tanten Wie Feen, die ein ganzes Tal durchwirken, ohne noch je darein hinabzusteigen. Walter Benjamin Ihr wart wunderbar. Vor allem gegen Abend, vollkommen erschöpft vom letzten Versuch, dieselbe Dialogzeile zu wiederholen. Legt Wut hinein, sagte ich, mehr Wut. Erst da holtet ihr sie von dort hervor, wo sie herkommen muss, aus tiefstem Innern, von einem dunklen Ort zwischen Leber und Magen, der nichts mehr mit Schauspielerei zu tun hat, aber dafür umso mehr mit euch, mit jedem Einzelnen, mit Tagen, an denen alles schiefläuft, mit Erniedrigungen, den Eltern, dem Freund oder der Freundin, den vielen Arschlöchern generell. Also mit eurem Leben: Auf einmal brach sie aus euch hervor - heiser oder schrill, von ganz unten - genauso wie es sein soll. Sogar aus denjenigen, die immer alles falsch machten, die nie als Schauspieler arbeiten würden - was eindeutig für die meisten von euch galt. Das Wunderbare an euch waren die Anstrengung und die naiven Träume, eure nassgeschwitzten Rücken, ja der Schweiß selbst, der verdunstete und diesen Raum in etwas so Intimes wie eine Umkleide verwandelte - genau das, was ich von Anfang an bezweckt hatte. Vergangenheit und Zukunft waren für euch unbegründete Behauptungen, so fehl am Platz wie gewisse überfürsorgliche Mütter, die draußen auf euch warteten. Solche, die noch bevor sie den Motor anlassen, fragen, wie die Proben gelaufen sind. In dem ignoranten Tonfall, mit dem man sich nach irgendeiner Prüfung erkundigt. Das waren Theaterproben zwar auch, aber eben nicht nur. Es galt, sich auszuprobieren. Andere Lebensentwürfe auszutesten, hätte ich gern gesagt. Wie lächerlich der Eifer doch war, mit dem ich unterrichtete! Aber immerhin eine Möglichkeit, Gewohnheiten abzulegen und kindlicher oder erwachsener zu werden, auf jeden Fall anders: Und genau das geschah auch, wenn ihr euch auf das konzentriertet, was euch in der Schule bloß ein Gähnen entlockt hätte - auf ein Gedicht von Prévert, auf die Antigone von Sophokles. Wenn der Körper nicht mehr nur euch zu gehören schien, sich austobte und buchstäblich entfesselt war, sodass ihr ihn vergaßt: Lang gezogene Seufzer, Schluchzer und Stöhnlaute, Sprünge und Umarmungen waren die Folge. Manchmal war das sogar richtig erregend, immer wurde geweint und gelacht. Erst leise wie unterdrückt, fast unwirklich. Dann lauter, ohne damit aufhören zu können, eine regelrechte Partitur aus Ahs, Ohs und Uhs, die fröhlich begann und verzweifelt erstarb, um euch auf dem Stuhl in der Bühnenmitte zurückzulassen - das Innerste nach außen gekehrt. Wenn jemand von euch wegblieb, dann aus Angst und weniger aufgrund von fehlendem Durchhaltevermögen. Erica, du warst die letzten beiden Dienstage nicht da, rügte ich sie. Ja, entschuldigen Sie. - Du kannst mich ruhig duzen. - Ja, entschuldige, Grazia. Es ist nur so, dass - Liegt es an den Prüfungen? Musst du für die Prüfungen lernen? - Ja, für die Prüfungen. - Interessierst du dich nicht mehr fürs Theaterspielen? - Doch, doch. Erica tauchte noch ein paar Mal auf, dann gar nicht mehr. Ich war schon drauf und dran, ihr eine SMS zu schicken, bat euch dann darum, und sie reagierte ausweichend. Nino meinte, etwas habe sie verstört. Und was bitteschön? - Die Szene, in der sie mich küssen musste. Allgemeines Gelächter. So verstörend ist es nun auch wieder nicht, dich zu küssen, meinte Chiara, und Massimo: Nino, musst du immer so albern sein? Es stimmt, Nino war der Allersympathischste von euch, alberte aber auch ständig rum. Doch diesmal blieb er ernst. Ich hab gespürt, wie sie zittert, sagte er. Ich hab ihr die Hand auf die Hüfte gelegt, und da hab ichs gespürt. Sie hat die Lippen zusammengepresst. Und dann, keine Ahnung, hat sie irgendwie traurig gewirkt. Als wollte sie nur noch weg. Vielleicht sollte man - Vielleicht sollte man was?, fragte ich. Vielleicht sollte man die Leute zu nichts zwingen, erwiderte er. Da sind wir zum ersten Mal aneinandergeraten.