Beschreibung
Mitte Januar 1945 beginnt Marian Burger Maßnahmen zu ergreifen, um noch aus Königsberg, das wahrscheinlich bald von russischen Truppen erobert werden wird, zu entkommen. Seine Hoffnung mitten im Vernichtungssturm ist der Neuanfang in einer freien Welt. Aber dieses Ziel liegt vielleicht unerreichbar in der Ferne. Die Nazi-Dummheit treibt weiter Blüten, seine Frau muss noch auf gutem Wege aus der Stadt kommen, eine alte Freundin kann nur hilflos zurückgelassen werden. Und während er sich später selbst zum rettenden Hafen Pillau durchzuschlagen versucht, von dem aus die letzten Schiffe abgehen, wird sein Verantwortungsgefühl zusätzlich grausam herausgefordert. Karl Friedrich Borée hat mit "Ein Abschied" einen seiner dichtesten Romane geschrieben: kompromisslos antirevanchistisch und trotzdem melancholisch Abschied nehmend, nah am Zeitgeschehen und berührend. Erneut ein Werk dieses erstaunlichen Autors, das sich zu entdecken lohnt.
Autorenportrait
Karl Friedrich Borée wurde 1886 in Görlitz geboren, studierte Jura, war Offizier im Ersten Weltkrieg und danach in den Stadtverwaltungen von Schöneberg und Königsberg sowie als Jurist tätig. Ende 1930 erschien "Dor und der September" als Romandebüt des 44-Jährigen und wurde zum jahrzehntelangen Bestseller. Sein zweiter Roman, "Quartier an der Mosel" (1935), wurde als Antikriegsroman verboten, allerdings konnte Borée weiter veröffentlichen. Nach 1945 arbeitete er aktiv am Aufbau eines demokratischen Literaturlebens mit. Er schrieb für den Berliner "Tagesspiegel", war der erste Vorsitzende des Westberliner Schriftstellerverbands und Sekretär der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Herausragende Werke der Nachkriegszeit sind neben "Ein Abschied" (1951) der Roman "Frühling 45" (1954) sowie das Erinnerungsbuch "Semiten und Antisemiten" (1960). Borée starb 1964 in Darmstadt.
Leseprobe
Nun sahen sie sich der Abschnürung gegenüber, der Auspressung ihrer letzten physischen Kräfte durch einen fanatischen Willen, der planmäßigen Hinmordung durch Granaten und Bomben, möglicherweise unterstützt von Hunger und Seuchen. Burger sah noch mehr. Er sah Plünderung, Verschleppung, Versklavung. Er sah eine Massenkatastrophe, die über die Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts hereinbrach, - ja, man mußte schon sehr weit zurückgreifen, bis ins Altertum, um einen rechten Vergleich zu finden. Vielleicht ging eine Generalvergewaltigung der Frauen nebenher, auch dies nach antiken Mustern. Die Geschichte versah sich um drei Jahrtausende, sie war zurückgefallen in abgelegte, barbarische Gebräuche. Burger lächelte: Die Geschichte? - Nein, der Mensch, das liebe deutsche Volk, das jetzt erwachte. Es hatte uralte Kräfte entfesselt, die nun, in moderner Ausrüstung, ihren Gesetzen folgend, sich endlich gegen die Entfesseler selbst wandten. Es war ein Massenexperiment des modernen Menschen an seinem eigenen Leibe. Vivisektoren dürfen keine Phantasie besitzen.