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Unentdeckte Schönheit

Erschienen am 15.06.2016
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783868276015
Sprache: Deutsch
Umfang: 576 S.
Format (T/L/B): 4 x 18.6 x 12.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Nashville 1868: Eleanor ist pragmatisch und hat gelernt zu kämpfen. Nachdem ihre Familie durch den Bürgerkrieg alles verloren hat, findet sie Aufnahme auf dem herrschaftlichen Anwesen ihrer Tante. Doch Eleanor will nicht von Almosen leben und nicht den Mann heiraten, den ihre Tante für sie aussucht. Sie versucht das Unmögliche und baut ein Heim für Kriegswitwen und ihre Kinder auf. Dabei hilft ihr der Architekt Markus. Doch Markus ist nicht der, der er zu sein vorgibt.

Autorenportrait

Tamera Alexander ist für ihre historischen Romane schon mehrfach mit dem Christy Award ausgezeichnet worden, dem bedeutendsten christlichen Buchpreis in den USA. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei erwachsenen Kindern in Nashville.

Leseprobe

Prolog 15. Dezember 1864 Ein Feldlazarett der Konföderierten Armee unweit des Schlachtfeldes Nashville, Tennessee Eleanor Braddock zuckte zusammen, als der Soldat ihre Hand festhielt. Sein Griff war überraschend kräftig, obwohl seine Handfläche feucht von Blut, Schweiß und den grauenvollen Spuren des Krieges war. Mit vor Schmerzen zusammengekniffenen Augen hielt er sie fest, als wäre sie der letzte Mensch auf der Erde. Das war sie auch für ihn. Gewöhnlich durchsuchte sie die linke Brusttasche der Uniform des Soldaten nach seinem Namen, aber der Stoff - ein blutdurchtränktes Grau - war von einem Kanonenschuss in Fetzen gerissen worden. Ähnlich wie der Rest dieses Mannes. Sie war dankbar, dass er bewusstlos gewesen war, als der Arzt ihn vor ein paar Minuten untersucht hatte. Dadurch war ihm das unmissverständliche Kopfschütteln des Arztes erspart geblieben. Schwester Sein Blick suchte ihre Augen. Vor dem Hintergrund der Gewehr- und Kanonenschüsse in der Ferne wappnete sich Eleanor gegen die Frage, die jetzt unweigerlich käme. Auch wenn sie schon oft gezwungen gewesen war, diese Frage zu beantworten, fiel es ihr immer noch nicht leicht, einem Mann zu sagen, dass er sterben würde. Und es war auch immer noch genauso schwer, mit anzusehen, wie ein Mann starb. Ja?, sagte sie leise, ohne ihn zu verbessern, weil er sie fälschlicherweise für eine Krankenschwester hielt, obwohl sie diese Ausbildung nie gemacht hatte. Könnten Sie mir sagen Er hustete, und sein bärtiges Kinn zitterte durch die Kälte oder den Schmerz, wahrscheinlich durch beides. Ein gurgelndes Geräusch kam aus seiner Kehle. Haben wir den Hügel eingenommen? Eleanor war überrascht, dass er sich nach dem Stand der Schlacht und nicht nach seinem Leben erkundigte. Die angespannte Hoffnung, die hinter seiner Frage steckte, rührte sie an. Ihre Kehle zog sich schmerzlich zusammen. Ja, antwortete sie, ohne zu zögern, obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, welche Seite auf dem Schlachtfeld im Moment die Oberhand hatte. Sie wusste nur, dass unzählige Männer - Väter, Söhne, Ehemänner, Brüder - unweit von ihnen niedergemetzelt wurden. Und dass dieser Mann es verdiente, mit einem gewissen Frieden und dem Glauben, dass sein Leben nicht sinnlos geopfert worden war, zu sterben. Ja, sie haben den Hügel eingenommen. Sie bemühte sich zu lächeln. General Lee wird sich sehr freuen. Stolz, aber hauptsächlich Erleichterung leuchtete in den Augen des Soldaten, bevor sie zufielen. Er rang um Atem, obwohl ihn jeder Atemzug viel Kraft kostete. Sie betete, dass er von diesem Kampf bald erlöst würde. Aber sie hatte Männer mit ähnlichen Wunden gesehen, die sich stundenlang im Todeskampf gequält hatten. Er war kein junger Mann mehr, schon mindestens Mitte dreißig, und seine Füße ragten zwanzig Zentimeter über die Pritsche hinaus. Beide Stiefel waren an den Zehen durchgelaufen. Sie hatte in seiner Stimme den Anflug eines Akzents gehört, eines Akzents von weit her, etwas, das sie schon immer bewundert hatte. Sie betrachtete ihn und fragte sich, wie sein Leben wohl vor dem Krieg ausgesehen hatte, und warum er auf einem hoffnungslosen Schlachtfeld mitten in Tennessee gelandet war. Seine Wangenknochen traten in dem ausgemergelten Gesicht deutlich hervor, und sie wünschte, sie hätte noch etwas von der Fleischbrühe, die sie gestern wie fast jeden Abend für die Männer gekocht hatte. Auch wenn sie die Brühe sehr stark verdünnen musste, verschlangen die Männer sie immer sehr schnell. So etwas Gutes haben wir seit Monaten nicht mehr gegessen, sagten sie, wenn sie ihre Tassen geleert hatten. Sie hatte schon immer gern gekocht, aber ihre Patienten essen zu sehen, auch wenn es nur ein wenig Brühe war, tat ihrem Herzen besonders gut. Bevor sie verwundete und sterbende Männer gepflegt hatte, hätte sie sich das nie vorstellen können. Sie verlagerte ihr Gewicht und der Griff des Soldaten wurde fester. Er verzog das Gesicht und biss stöhnend die Zähne zusammen, als wäre er fest entschlossen, nicht wie die anderen zu schreien. Ihr Blick fiel auf die leeren Laudanumflaschen auf einem Tisch. Sie hätte ihm gern etwas davon gegeben. Doch die letzten Schmerzmittel, einschließlich Morphium, Chloroform und Äther waren heute Morgen verabreicht worden, bevor sie erfahren hatten, dass der erwartete Medikamentennachschub nicht ankäme, da die Unionsarmee die Medikamente abgefangen hatte. Dass sie Munition und Geld abfingen, konnte sie verstehen. Sogar Nahrungsmittel. Aber Medikamente? Selbst im Krieg sollten doch bestimmte humanitäre Regeln gelten. In der Ferne donnerte das Kanonenfeuer, und ein eisiger Wind wehte durch die Stoffwände des Lazarettzelts. Das Stöhnen und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden durchschnitten die Luft. Eleanor erschauerte vor Kälte. Obwohl es absurd war, war sie fast sicher, die Erde selbst stöhnen zu hören, die sich unter ihren Füßen verkrampfte und sich vielleicht genauso wie sie fragte, wie lange dieser Wahnsinn noch weitergehen würde. So ähnlich musste es in der Hölle sein. Trotzdem wusste sie, als sie an den entsetzlichen Wahnsinn und die sinnlosen Grausamkeiten dachte, die gleich hinter dem Hügel geschahen, dass sie in diesen Zelten nur den Randbereich der Hölle sah. Wie hatte sie nur sechsundzwanzig Jahre leben können, ohne sich bewusst zu machen, wie kostbar und vergänglich das Leben und wie unbeständig der Friede war? Bis dahin hatte sie nicht darüber nachgedacht, ob sie ihr Leben vielleicht vergeudete. Doch wenn sie die Erfahrungen ihres ganzen Lebens mit dem, was sie in den letzten Monaten gesehen und getan hatte, verglich, war vergeudet eine schmerzlich zutreffende Beschreibung. Ihr Blick wanderte an den Pritschen mit den Soldaten entlang, die beide Seiten des Zeltes säumten. Wie viele Menschen würden noch sterben, bis die beiden Kriegsparteien endlich einsahen, dass genug Blut vergossen war? Als sie die Anzeige in der Murfreesboro-Zeitung das erste Mal gelesen hatte, die schlicht aussehende Frauen im Alter zwischen 35 und 50 aufforderte, ehrenamtlich in Feldlazaretten und Operationszelten mitzuarbeiten, hatte sie sich gefragt, ob ihr Alter ein Hinderungsgrund wäre. Aber da der Bedarf an ehrenamtlichen Helferinnen so groß gewesen war und sie die erste Anforderung zweifellos erfüllte, war sie schnell angenommen worden. Der einzige andere Punkt, der sie wirklich gewundert hatte, war der Zusatz gewesen: Keine fachliche Ausbildung oder Erfahrung in der Krankenpflege erforderlich. Aber sie hatte nicht lange gebraucht, bis sie den Grund dafür begriffen hatte, und gemerkt, dass die vor ihr liegende Aufgabe von ihr stark unterschätzt worden war. Sie hatte nur gewusst, dass sie nicht einfach zu Hause sitzen und nichts tun konnte, nachdem ihr Bruder sich zusammen mit den meisten männlichen Verwandten und Freunden zur Armee gemeldet hatte. Dazu kam, dass ihr Vater die Konföderation so stark unterstützte. Sie schloss kurz die Augen, als die Erschöpfung und die Sorgen zu erdrückend wurden. Mit schmerzlicher Klarheit stellte sie sich ihren jüngeren Bruder vor, der vielleicht irgendwo auf einem Schlachtfeld lag, verwundet, frierend und allein, während sein kostbares Lebensblut auf die Erde tropfte. Eine eisige Kälte erfasste sie. Falls Teddy etwas zustieße, wüsste sie nicht, wie sie das ertragen sollte. Oder wie ihr Vater mit einem solchen Verlust leben könnte. Obwohl er die körperliche Kraft eines Mannes besaß, der nur halb so alt war wie er, und mit seinen ein Meter neunzig - nur fünfzehn Zentimeter größer als sie - immer noch eine aufrechte Körperhaltung hatte, ließen die geistigen Kräfte ihres Vaters allmählich nach. Der Tod ihrer Mutter vor fast zehn Jahren war besonders schwer für ihn gewesen. Er hatte sehr lange und stark um sie getrauert. Aber in den letzten paar Monaten war Eleanor eine deutliche Verschlechterung seines Gedächtnisses aufgefallen. Er konnte sich kaum noch an Dinge, die erst vor Kurzem geschehen waren, erinnern. Ein plötzlicher, starker Windstoß erfasste das Zelt...