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Warum der stille Salvatore eine Rede hielt

Roman aus einem fiktiven Bürgerkrieg

Erschienen am 23.06.2024
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783866384446
Sprache: Deutsch
Umfang: 344 S.
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Mit diesem Roman hat Michael Wäser zugleich eine Tragikomödie, einen Thriller, ein politisches Horrorszenario, die Liebesgeschichte mindestens eines Außenseiters geschrieben - und wie bei allen seinen (bislang drei) Romanen ist das Buch überbordend bevölkert von schrillen und abgründigen Charakteren: Der neue Roman des Autors von 'Familie Fisch macht Urlaub', 'In uns ist Licht' und 'Das ­Wunder von Runxendorf' (siehe ganz links) ist eine packende Groteske über den Krieg in der Welt, und sein an sich höchst schweigsamer Held ist ein zeitgenössischer Simplicissimus. Alles klar, alles durchdacht, alles totaler Wahnsinn und warum? Weil die ganze Welt wahn­sinnig geworden war, besonders hier in Bovnik. Durch einen spektakulären Unfall wird der Einzelgänger Salvatore mitten im Krieg (der einen ­unter anderem an die 1990er Jahre erinnern muß) berühmt. Freund und Feind reißen sich plötzlich um den Unauffälligen. Aber wem von allen neuen kann er wirklich vertrauen - dem blauen Kameraden, den depressiven Adventisten oder der schönen, aber chronisch übermüdeten Unbekannten? Als der Pottwal neben ihm explodierte, wechselte Salvatore Krig auf seinem Motorroller gerade vom zweiten in den dritten Gang. Überraschenderweise stand die Explosion in keinem direkten Zu­sammenhang mit der bestehenden politischen Situation in Bovnik, sondern bildete den ab einem gewissen Zeitpunkt zwar vor­her­sehbaren, aber dennoch unerwarteten Höhepunkt einer Kette von Ereignissen, mit denen Salvatore, außer dass sie sein Leben be­endeten, nicht das Geringste zu tun hatte.

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Leseprobe

Salvatore Als der Pottwal neben ihm explodierte, wechselte Salvatore Krig auf seinem Motorroller gerade vom zweiten in den dritten Gang. Überraschenderweise stand die Explosion in keinem direkten Zu­sammenhang mit der bestehenden politischen Situation in Bovnik, sondern bildete den ab einem gewissen Zeitpunkt zwar vor­her­sehbaren, aber dennoch unerwarteten Höhepunkt einer Kette von Ereignissen, mit denen Salvatore, außer dass sie sein Leben be­endeten, nicht das Geringste zu tun hatte. Wie an fast jedem Tag war der unscheinbare Mann an diesem Mor­gen im späten April durch Bovniks Straßen geknattert, hatte sich durch die engen Gassen des Haupthügels der Altstadt geschlängelt, die mit Wein bewachsenen Hänge an deren Rand durchquert und war dann über die Küstenstraße am neuen Hafen vorbei zurück Richtung Stadtzentrum gefahren. Aus der Entfernung war ihm der Schwertransport, der sich auf dem Weg zum zoologischen In­sti­tut der Bovniker Universität befand, nicht weiter aufgefallen. Es­kor­tierte Tieflader und Lastwagenkonvois gehörten in dem ge­schundenen Kleinstaat zum alltäglichen Stadtbild. Erst als er sich den langsam fahrenden Vehikeln näherte und hinter den blauen Blinklichtern der den Zug abschließenden UN-Jeeps ein äußerst ungewöhnliches und auch ungewöhnlich großes Objekt auf der Ladefläche des Sattelzuges entdeckte, wurde seine Neugier ge­weckt. Er überholte den hinteren Jeep und verlangsamte dann ne­ben dem dunklen, monumentalen Kadaver, um ihn bestaunen zu können, doch die Begleiter des Transporters hupten und schrien ihn an, er solle sich davonmachen und gefälligst weiterfahren. Also be­­schleunigte er wieder. Er passierte gerade die Mitte des Tieres, als es geschah. Mehrere Kubikmeter Blut, Blutgefäße und andere Organe und et­wa die Hälfte der einhundertachtzig Meter Darm des Wals stürzten aus dem aufplatzenden Körper und überfluteten die Straße neben dem Sattelschlepper wie die Schlammlawine eines Erdrutschs. Die Innereien, die aus dem toten Wal herausgeschleudert wurden, schienen, so erzählten es Augenzeugen aufgeregt und nach Atem ringend den sich rasch versammelnden Schaulustigen, geradezu nach dem Rollerfahrer gegriffen, ihn vom Sitz geschleudert zu ha­ben, bevor sie ihn unter sich begruben und der Motorroller, nach­­dem er noch eine kurze Strecke führerlos weitergefahren war, krachend unter ein geparktes Auto rutschte. Der mystifizierende An­­­flug, der dem ohnehin spektakulären Ereignis auf diese Weise bei­­­gemengt wurde, entsprach dem traditionell irrationalen Grund­­be­finden der meisten Bewohner dieses Landstriches und wur­de folg­­lich von niemandem bezweifelt. Stattdessen haftete er von nun an dem Unfallopfer als Legende an. Unmittelbar nach der Explosion herrschte für eine gewisse Zeit völlige Verwirrung. Hatten die Thu­na­kis die Begrenzungsvereinbarung gebrochen und einen zi­vilen Trans­port mit unsignierten Granaten angegriffen, na­türlich ge­­nau am Tag der großen Kundgebung auf dem Platz des Sieges, die am frühen Abend stattfinden sollte? War der Wal viel­leicht zum Ziel der Bovniker Untergrundbewegung geworden, die ihn vor dem Na­­ti­o­nalfest für einen ihrer geschmacklosen Späße missbrauchte? We­­der ein Granatenabschuss noch eine ech­te Detonation waren zu hören gewesen. Nein, das Tier war offen­­bar ganz von selbst ge­­­­­platzt. Letzte Gewissheit brachte der Ge­ruch. Jeder Mensch in Bovnik wusste genau, wie es nach einer Sprengstoffexplosion roch, und nichts roch hier wirklich nach einer Granate. Stattdessen ver­brei­te­te sich über der gigantischen Sauerei auf der Straße ein Ge­misch aus Gerüchen, das allen Menschen im Umkreis von zwei­hundert Metern den Atem nahm. Als erstes und flüchtigstes Ele­ment attackierten die Verwesungsgase aus dem Bauch des Wals den Geruchssinn der Umstehenden. Diesem folgte der Gestank des ver­­dorbenen Fleisches und der Innereien des Wals, der sich lang­samer verbreitete, aber wegen der Wind­stille an diesem Morgen nicht verflog. Als Drittes dünstete aus den geplatzten Därmen des Kadavers der scharfe, etwas salzige, Übel­keit erregende Geruch halb verdauter Tiefseekalmare. Die Sen­sibelsten unter den Zuschauern über­gaben sich spätestens jetzt, was dem Geruchscocktail weitere un­an­­genehme Noten hin­zu­fügte. Ob es eher der Anblick war, der den Menschen so zu­setzte, der Geruch oder beides zusammen, spiel­te nun keine Rolle mehr. Doch selbst die Hartgesottensten, die gerne mit einem Magen aus Stahl prahlten, wurden auf eine ern­ste Probe ge­­stellt, als nun der König des Gestanks dem Chaos ent­­stieg: Ambra. Die mehrere Kilogramm schweren, wächsernen Klumpen aus dem Verdauungstrakt des Pottwals schützen die Tiere vor harten, un­­verdaulichen Überresten ihrer Beute, indem sie zum Beispiel den abgetrennten Schnabel eines Kalmars umschließen, sodass er im Darm des Pottwals keinen Schaden mehr anrichten kann. Die Substanz, die, wenn sie einige Wochen an der Luft trocknen konnte, sehr angenehm riecht und früher zum Grundstoff vieler Par­fums gehörte, entwickelt im frischen Zustand einen gänzlich an­deren Geruch, den ein deutscher Chemiker einmal mit einem Ver­gleich zu beschreiben versuchte. Der Geruch von frischem Ambra, schrieb er, habe sich eingestellt, als er einmal eine größere Menge menschlicher Exkremente über längere Zeit in einem Fass verrotten ließ. Der Gestank sei so durchdringend gewesen, dass er das fest verschlossene Gefäß aus dem Labor habe entfernen müssen. Die Wale jagenden Ureinwohner der Polarregionen eva­kuier­ten ihre Dörfer, wenn sie mit einem erbeuteten Pottwal zu­rück­­kamen und wegen starken Seegangs gezwungen waren, das Tier am Ufer auszuweiden und nicht, wie sonst üblich, schon auf See, so sehr stanken die Gedärme. Dies dürfte erklären, warum sich einige Begleiter des Zuges nur zögernd dazu entschließen kon dort unten lag. Der etwa fünfzehn Meter lange Pottwal war am vorangegangenen Morgen tot am Strand in der Nähe des Hafens angespült, von Ar­beitern entdeckt und der Hafenaufsicht gemeldet worden. Ein toter Wal in Bovnik, zumal dieser Größe, stellte ein außergewöhnliches Er­eig­nis dar, und so war schon die Bergung, die äußerst kom­pli­ziert und mühsam vonstattenging und vom späten Morgen bis zum späten Abend dauerte, von Hunderten Zuschauern und etlichen Journalisten neugierig verfolgt worden. Zuerst war der Kadaver mithilfe eines Schleppers zu einer befestigten Hafenmole gezogen und dort festgemacht worden, damit ein von den Univer­sitätsmitarbeitern dorthin bestellter mobiler Schwerlastkran den Wal unbeschädigt aus dem Wasser hieven und auf einen Sat­tel­schlepper laden konnte. Die Chance, einen vollständigen, ausge­wachsenen Wal in der Universität untersuchen zu können, bot sich den Bovniker Zoologen und Meeresbiologen zum ersten Mal überhaupt. Deshalb bestanden sie darauf, den Wal nicht zu zer­teilen und lieber einen zweiten mobilen Kran zu ordern, als sich die ersten Probleme bei der Bergung zeigten. Sie schätzten das Tier nun auf 35 Tonnen und...