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Rost und Säure

Essays, Polemiken, Reden, Satiren 1994-2014,3 Bde in Kassette

Erschienen am 15.08.2013
29,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783854357186
Sprache: Deutsch
Umfang: 460 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 21.5 x 13.2 cm
Einband: Kartoniert in Kassette

Beschreibung

'Und die Säure will den Glanz und der Rost sagt, sie sei nur zersetzend.' Diesen Aphorismus von Karl Kraus setzt Richard Schuberth als Motto über das Best of jenes publizistischen Schaffens, das sich neben seinen satirischen Lesedramen, vier prämierten Drehbüchern, dem Essayband über Karl Kraus, dem Aphorismenkompendium Das Neue Wörterbuch des Teufels (erscheint im Frühjahr 2014) und zwei Romanen angesammelt hat. Seine besten Standard-Gastkommentare finden sich hier ebenso wie Texte, die in Literatur und Kritik, Konkret, Augustin, Manuskripte, Merkur, der Presse und anderswo erschienen sind. Ein buntes Mosaik an Themen bietet der Essayband im Rückblick: Kulturalismus, Antisemitismus, Sozialabbau, die Jugoslawienkriege, der Migrations- und Integrationsdiskurs, linke Kritik der Linken (der Rechten und der politischen Mitte ohnehin), Balkanismus und Orientalismus, Ernährungsphysiologie als Herrschaftstechnik, Pseudosubversion, der Nukleus einer Satiretheorie und eine dialektische Infragestellung von Political Correctness und Incorrectness; zudem Reflexionen zu Michael Moore, den Spice Girls, Grissemann & Stermann, Sasha Baron Cohen, Natascha Kampusch, Estìbaliz C., Maria Fekter, Elfriede Jelinek, Tanja Ostojic, Emir Kusturica, Andreas Hofer, William Congreve und dem Theater der Stuart-Zeit, der Orientreisenden Mary Montagu, Denis Diderot, der Feministin Mary Wollstonecraft, Robert Burns, Petar II. Petrovic-Njegos, Johann Nestroy und Oscar Wilde. Wo ihm wissenschaftliche Sachlichkeit zu wenig objektiv ist, greift Schuberth zur irregulären Waffe subjektiver Polemik. Vielleicht gibt das vorliegende Buch erst die disparaten Mosaiksteinchen aus 20 Jahren als deutliches Bild zu erkennen, dessen zentrale Motive ein glühender Antiessenzialismus sowie Gesellschaftskritik als satirische Sprachkunst sind.

Leseprobe

Für seine privilegierten österreichischen Freunde aber ist Kultur etwas ganz und gar anderes. Für sie bedeutet Kultur Wellness, und Religionen sind ihnen bunte Flicken im Weltkulturerbe, und falls sie selbst daran glauben, spirituelle Entschlackungskuren. Für Kemals Freunde ist die Welt also ein Feinkostladen, und je reichhaltiger das Angebot, desto wohler fühlen sie sich darin. So pflegen sie zu ethnischen Kulturen ein kulinarisches Verhältnis. Alle lieben sie Istanbul, das Kemal nicht kennt, weil seine Eltern aus Trabzon stammen und er in Fünfhaus aufgewachsen ist. Heute Abend kochen sie Paella, weil sie gestern schon beim Japaner waren, dazu hören sie portugiesischen Fado und lieben einander in indischen Stellungen, sie verteidigen kopftuchtragende Muslimas mit erstaunlichen Argumenten, die Kemal nie zuvor gehört hat, und finden die exiliranischen Aktivistinnen, die ihre Kopftücher verbrennen, genauso cool. Zu Wien modern gehen sie lieber mit ihren jüdischen Freunden, mit Kemal dafür zum Konzert dieser fantastischen kurdischen Sängerin. Es sei hier verraten, dass sich Kemal ihnen gegenüber als Kurde ausgibt, obwohl er nur Türke ist, und als Alewit, obwohl er nur Sunnit ist. Er schämt sich deshalb, aber ansonsten hätte er in dieser Schicht nie so viele Freunde abbekommen. Schamvoll spürt Kemal dann das Gefälle zwischen ihm und ihnen: Sie können zwischen den Kulturen wählen wie zwischen verschiedenen Weinsorten, er fühlt sich in seiner gefangen wie in einer dickbauchigen, aber schlankhalsigen Bouteille. Spätestens an der gleichen Augenhöhe zwischen sich und ihnen zu zweifeln begonnen hatte er, als er Anstalten machte, selbst diese Gourmetperspektive einzunehmen, sich für Fado, japanische Küche und indische Stellungen zu interessieren. Seine Liebhaberinnen gaben ihm unmissverständlich zu verstehen, dass sie lieber anatolisch geliebt werden wollten, seine Freunde, dass sein Güveç besser schmecke als sein Sushi, und als ihn der befreundete Rechtsanwalt einmal bei einem Wien-modern-Konzert erwischte, begrüßte er ihn mit den Worten 'Was, du hier?' Und das hörte sich mehr als ein Vorwurf als der Ausdruck echter Freude an. Bald musste Kemal seine Rolle in diesem Spiel erkennen: Er war nicht als Mitkonsument zum Kulturbüffet eingeladen, sondern als Teil des Büffets. (Aus: Einfältige Vielfalt)