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Heldengedenken

Über das heroische Phantasma, Merkur, Themenhefte Sonderband 9/10 2009, Merkur - Themenhefte 9/10 2009, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken

Erschienen am 15.09.2009, 1. Auflage 2009
21,90 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608971170
Sprache: Deutsch
Umfang: bis 998 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 24 x 15 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Offenbar hat das Land doch Helden nötig, wenn nicht reale, so zumindest imaginierte; und offenbar ist das heroische Phantasma so tief im menschlichen Bewusstsein verankert, dass jeder Versuch, es gut-aufklärerisch zu verabschieden, zum Scheitern verurteilt ist. Mit Helden zu leben ist zweifellos ungemütlich; ohne sie zu leben ist wahrscheinlich unmöglich. 'Unglücklich das Land, das keine Helden hat' - erst im 20. Jahrhundert ist diese Aussage fragwürdig geworden, hat der Gegen-Satz, den Brecht dem Galilei in den Mund legt, seinen Siegeszug angetreten: 'Unglücklich das Land, das Helden nötig hat'. Das heroische Konzept, traditionell der Höhepunkt des menschlichen Selbstbildes, ist seitdem einer strengen Revision unterzogen worden, und vor allem dem Krieghelden werden kaum noch Kränze geflochten. Andererseits gibt es in unseren 'postheroischen' Gesellschaften eine auffällige Sehnsucht nach Helden und Heldenverehrung - von 'Helden des Alltags' über Sporthelden, Stars und Celebrities bis hin zu Comic-Superhelden, in denen sogar der uralte Heros-Halbgott als Wiedergänger erscheint.

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Autorenportrait

Karl Heinz Bohrer, geboren 1932, Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Bielefeld, seit 1984 Herausgeber des MERKUR. Veröffentlichungen: Die gefährdete Phantasie (1970), Die Ästhetik des Schreckens (1978), Ein bißchen Lust

Leseprobe

Wir leben, noch immer, in der Moderne, der Epoche der Heldenkritik. In der von Hegel konstatierten "Prosa der bürgerlichen Verhältnisse" wird nicht der große und gewaltige Kämpfer des "heroischen Weltzustands" der homerischen Antike gesucht, der wie der Westernheld dem Rechte Geltung verschafft, sondern man braucht fähige, gut ausgebildete Justiz- und Polizeibeamte. Heldenkult jeder ideologischer Prägung ist passé, kommt nur noch als Modeeffekt - das Che-T-Shirt - oder voraufklärerischer Fanatismus vor. Es ist Opferbereitschaft für eine größere Sache, was den Helden auszeichnet, und eben solche "Sachen" sind von einem Nebeldunst des Zweifelhaften und der Manipulation umgeben. Tod fürs Vaterland, Nibelungentreue, aber auch der Soldat im Straßenkampf von Bagdad: Die "Sache", für die da gekämpft wird, ist allemal fragwürdig, umstritten. Wo aber an keine "Sache" so pathetisch geglaubt wird, dass heldenhaft für sie einzustehen wäre, bedauert man Soldaten eher, die verwundet oder getötet werden, als dass man in ihnen Helden bewundert. Und der Pilot der technologischen Kriegführung, der aus mehreren Kilometern Höhe Bomben dahin wirft, wo vielleicht Gegner sind, erscheint erst recht nicht als Held. HansThies Lehmann, Wunsch nach Bewunderung Während es in England von Helden wimmelt, weist Deutschland in die entgegengesetzte Richtung. Die großen Gestalten der deutschen Geschichte von den Hohenstaufen zu den Hohenzollern sind in der untersten Schublade weggeschlossen worden. Wir hörten in letzter Zeit von einem Wiedererwachen des Nationalstolzes in der Bundesrepublik, und Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der Deutschen der Ansicht ist, dass ihre Regierungen in den vergangenen sechzig Jahren viel erreicht haben. Die Fahne der Bundesrepublik wird nun auch bei Fußballspielen geschwenkt. Die patriotische Formel "My country, right or wrong" ist verständlicherweise für alle anständigen Deutschen Anathema. Die moralische Katastrophe des Zweiten Weltkriegs war der Grund dafür, den Begriff des Heldentums aus dem Vokabular der deutschen Sprache zu streichen. Indem die Historiker ihrer Arbeit nachgehen und die Geschichte des Dritten Reiches detailliert untersuchen, entdecken sie immer mehr Teile der damaligen deutschen Gesellschaft, die in diese Volksgemeinschaft mit Ausschließlichkeitsanspruch oder den Genozid verstrickt waren. Insbesondere die Wehrmacht ist nun in die Kritik geraten, und es wird zunehmend schwieriger, die Schuld für die Vernichtung der Juden, Zigeuner und anderer Nichtkombattanten einzig Himmlers Einsatzgruppen zuzuschieben. Angesichts dessen liegt es nahe, dass es keine Verehrung des edlen Helden mehr geben kann, keinen Stolz auf die Heldentaten der deutschen Vorfahren und keine Achtung vor den Toten, die scharenweise zu den Fahnen eilten, um einen unmoralischen Krieg zu führen: Geschichte beginnt in Auschwitz. Giles MacDonogh, Helden und Patrioten Wenn der Verteidigungsminister in einer Zeit, in der die Einführung neuer Ehrenzeichen und die Errichtung eines Kriegerdenkmals für die Bundeswehr diskutiert werden, nunmehr von Gefallenen spricht statt von Opfern, könnte dies ein Indiz dafür sein, in ihnen, die ihr Leben "für unser Land" gelassen haben, Helden sehen zu wollen. Eine Voraussetzung eines neuen Heroismus läge allerdings darin, überhaupt anzuerkennen, dass die Bundeswehr sich im Krieg befindet, denn Helden "fallen" im Kampf gegen den Feind. Von Krieg zu sprechen scheut man sich aber im offiziellen Berlin. Wenn die Bundeswehr Helden möchte, dann muss sie Kriege führen. Ein "Stabilisierungseinsatz" wie in Afghanistan ist aber kein Krieg, stellt Jung am 3. September 2008 in Berlin klar, sondern eine Art Polizeieinsatz zur Herstellung von "Ruhe, Sicherheit und Ordnung", wie es in der entsprechenden Resolution 1510 des UN-Sicherheitsrates heißt. Die deutschen Soldaten als Teil einer internationalen Sicherhe

Inhalt

I Lau, Jörg Pathos des Eigensinns. Zivilcourage und Heldentum Bolz, Norbert Der antiheroische Affekt Lehmann, Hans-Thies Wunsch nach Bewunderung. Das Theater um den Helden MacDonogh, Giles Helden und Patrioten Werber, Niels Soldaten und Söldner. Risiko und Versicherung in der »postheroischen« Epoche Frevert, Ute Vom heroischen Menschen zum »Helden des Alltags« Tetzlaff, Sven Wie Jugendliche heute Helden sehen. Über den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten Hartwig, Ina Heldinnenkarussell Hank, Rainer Die Gefallenen oder Wirtschaftshelden sehen anders aus Reichholf, Josef H. Zur Soziobiologie des Heroischen Flaig, Egon Symbolischer Tausch und heldischer Tod. Neiman, Susan Wenn Odysseus ein Held sein soll, dann können wir es auch sein II Schmitt, Arbogast Achill ein Held? Gumbrecht, Hans Ulrich Don Quijote oder der moderne Held als Terrorist Alt, PeterAndré Der Teufel als Held. Schwarze Romantik und Heroisierung des Bösen Westerwelle, Karin Der Dandy als Held Kohlhammer, Siegfried Der Hammer redet. Dichter und Denker als Helden Detering, Heinrich Das Entwetzen des Hofnarren. Brechts Helden Betz, Albrecht Musikhelden und Heldenmusik Steiner, Reinhard Heldenposen Schulz, Bernhard Helden des Todes, Helden des Lebens. Zur Ikonographie des Gedenkens im 20. Jahrhundert III Bohrer, Karl Heinz Ritus und Geste. Die Begründung des Heldischen im Western Seel, Martin Ethan Edwards und einiger seiner Verwandten Früchtl, Josef Und diesen Unsinn glauben wir. Zur Selbstreflexion der Heldenfigur im Film Knipphals, Dirk Abschied von der dunklen Seite der Macht. Erwachsen werden mit Luke Skywalker und Spiderman Mrozek, Bodo Im Geheimdienst Seiner Majestät, des Kapitalismus. Helden der Popkultur: Spione und Agenten im Kalten Krieg Bleck, Andy Der verwundete Sokrates. Comicstrip nach Bertolt Brecht

Schlagzeile

Brauchen wir noch Helden?