0

Sucht - Eine Herausforderung im therapeutischen Alltag

Leben Lernen 205

Erschienen am 15.08.2007, 1. Auflage 2007
9,95 €
(inkl. MwSt.)

Nachfragen

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608890297
Sprache: Deutsch
Umfang: 260 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 21 x 13.7 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Jeder Psychotherapeut kennt sie: drogen- oder alkoholsüchtige Klienten und Klientinnen, die nicht ihr Suchtproblem in die Therapie geführt hat, sondern andere, oft damit zusammenhängende, Störungen. Gleich, ob die Sucht verschleiert, verleugnet oder zugegeben wird: Die therapeutische Kunst steht vor einer ungleich größeren Herausforderung als bei nichtsüchtigen Patienten. Ziel des Buches ist es, den Blick der Psychotherapeuten für verschleierte Suchtprobleme zu schärfen die spezielle Beziehungsdynamik mit süchtigen Patienten zu erhellen typische Fallen und Probleme im Umgang mit diesen Klienten zu benennen. Die Scheu vieler Ärzte und Psychotherapeuten, mit Süchtigen zu arbeiten, kann durch dieses kompetente und erfahrungsgesättigte Buch reduziert werden. Die komplexen Zusammenhänge zwischen psychischen Störungen und süchtigem Verhalten geraten besser als in jedem entzugsorientierten Buch in den Blick. Therapiematerialien wie Arbeitsaufträge und Zielvereinbarungen unterstützen die therapeutische Arbeit konkret.

Autorenportrait

Helmut Kuntz, Familien- und Körpertherapeut, arbeitet in Prävention, Beratung und Therapie (Aktionsgemeinschaft Drogenberatung e.V.) in Saarbrücken; freiberuflich ist er in der Fort- und Weiterbildung und als Supervisor tätig; zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Körperarbeit und Sucht.

Leseprobe

8. Weniger ist mehr: Ein roter Faden in der Sucht für Theorie und Praxis Eine stimmig nachvollziehbare Theorie der süchtigen Abhängigkeit ist unverzichtbar, wenn wir das Phänomen mit seinen vielen Gesichtern in seinem Ursachengeflecht tatsächlich verstehen wollen. Gute Theoriebildung ist eine echte innere Herausforderung für den denkenden, verstehenden Geist sowie für unser Bewusstsein als Verständnis davon, wie wir in der Welt stehen. Zur Qual kann die Theorie dort werden, wo sie sich mit der dem Wissenschaftsbetrieb oft innewohnenden, bereits erwähnten 'Sucht nach ?Tiefe?' in wachsendem Maße selbstverliebt um sich selber dreht. Im Drehen von sich beständig verkomplizierenden Pirouetten läuft sie Gefahr, sich in nebulöser Undurchdringlichkeit zu verlieren und sich ihrer verstehbaren Inhalte zu berauben. Die eine, allgemeingültige Theorie der Sucht gibt es nicht. Es wäre maßlos vermessen, solches vorzugeben oder zu beanspruchen. In der Geschichte der Suchttheorien finden wir etliche wertvolle Gedankengänge, die unser modernes Verständnis des Phänomens jeder für sich bereichert haben. In neuerer Zeit hat Rudolf Klein (2002) den Versuch unternommen, die systemische Therapie des süchtigen Trinkens konzeptionell zu fassen. In einer Art 'doppelter Beschreibung' setzt er detaillierte Fallberichte aus der systemischen therapeutischen Praxis parallel neben ausgefeilte systemisch-konstruktivistische Überlegungen. Sein Bemühen verdient Anerkennung, zeigt aber den schwierigen Spagat, verstehbare Suchttherapien deckungsgleich mit hoher Suchttheorie zu beschreiben. Sobald moderne Suchttheorien ein gewisses Abstraktionsniveau übersteigen, beginnen sie um sich selbst zu kreisen. Praxissprache und Theoriesprache können das intendierte befruchtende Spannungsverhältnis nicht mehr halten und fallen auseinander. Die Theorie wird zum Selbstzweck, sie berauscht sich an sich selbst. Persönlich liebäugele ich über die Jahre meiner präventiven, beratenden und therapeutischen Suchtarbeit immer stärker mit der Devise: 'weniger ist mehr'. Mit dem erklärten Ziel, die Komplexheit erforderlicher Suchttheorie auf ein verträgliches Maß herunterzubrechen, schlage ich einen kleinsten gemeinsamen Nenner als alltagstauglichen theoretischen Konsens vor. Die Grundlage meines Vorschlags sowie meines Verständnisses von Drogenmissbrauch und süchtiger Abhängigkeit sind Forschungsergebnisse, Erkenntnisse, Vermutungen und Hypothesen der derzeit als Wissensstand weitgehend akzeptierten jüngeren Säuglingsforschung und Entwicklungspsychologie (Stern, 1992, 1998; Dornes, 1993, 1997, 2000, 2006), und hier insbesondere die Art, wie wir Menschen unser Selbst, unseren Kern sowie uns als Menschen unter Menschen begreifen. Darauf gegründet, fasse ich mit einigen persönlichen Freiheiten meine Theorie der Sucht aktuell so: 1. Unser wichtigstes Selbstgefühl als Menschen ist das im Kern unversehrte Gefühl von Urheberschaft und Wirksamkeit. Gemeint ist: Wir sind Herr im eigenen Haus, wir halten die Fäden unseres Lebens in der Hand und spinnen sie weiter im Verfolgen von Lebensplänen und Zielen. Mit dem eigenen Handeln können wir erfolgreich etwas bewirken und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen gestalten. Intakte Wirkmächtigkeit ist der Bauleiter eines integrierten Selbst. In das Selbstgefühl von Urheberschaft und Wirksamkeit eingebettet sind sämtliche Tönungen, Farben und Klänge unserer Gefühlswelt, unsere Wahrnehmung für den Körper mit seinem ihm eigenen Körpergedächtnis sowie ein 'Update' unserer gesamten Lebensbiografie. 2. Wird unser Grundgefühl von Urheberschaft und Wirksamkeit, also unser organisierender und motivierender Lebensmotor, über Gebühr untolerierbar eingeschränkt, beschädigt oder zerstört, werden wir anfällig für die Versprechungen psychoaktiver Wirkstoffe oder die manipulative, selbstregulierende Wirkung nicht stofflichen Suchtverhaltens. Lassen wir leben oder werden wir gelebt, statt unser Leben eigenmächti

Inhalt

1. Das ganz alltägliche Gesicht der Sucht - Vorwort 2. Gehen Sie »auf Start« 3. Ein Zahn, der gezogen werden muss - Theorie ist Silber, menschliche Haltung ist Gold 4. Das Phänomen: Süchtige Abhängigkeit oder süchtig abhängiges Verhalten Abhängigkeit ist omnipräsent 5. Diagnostische Leitlinien: Pragmatik und Realität Ein Risiko: Das Verfehlen der User 6. »Schuld sind immer die Anderen«. Individuelle wie kollektive Abwehrbündnisse in der süchtigen Gesellschaft Macht als Droge »Ich verliere, also bin ich« Suchtverhalten ein privates oder ein kollektives Phänomen? 7. Die frühe Störung - Mythos und Wirklichkeit 8. Weniger ist mehr: Ein roter Faden in der Sucht für Theorie und Praxis 9. Das positive (sucht)therapeutische Alphabet 10. Was macht die Sucht so mächtig? - Die Eigendynamik der süchtigen Beziehungsstruktur und wirksame »Antidotes« 10.1 Die Kunst der Tarnung: Verwirrspiel durch die unbestimmte Vieldeutigkeit der Information Aus dem therapeutischen Abc: Vertrauen auf das eigene Gefühl 10.2 Beziehungssprengstoff: Extreme Gefühle, zum Zerreißen gespannt Elternaufträge Aus dem therapeutischen Abc: Beständigkeit und Langmut 10.3 Lebensverneinung: Rückzug durch Verengung der Räume Cannabis gegen die Ungerechtigkeit der Welt Aus dem therapeutischen Abc: Lebensbejahung und Weitsicht 10.4 Innere Wüste: Das Verlorengeben der Glücksfähigkeit »Set« und »Setting« Rauschmittel als Zwitterwesen Aus dem therapeutischen Abc: Taktgefühl und Zuwendung 10.5 Verächtlichkeit: Die Preisgabe von Werterfahrung Aus dem therapeutischen Abc: Positionierung im Alltäglichen 10.6 Ohnmächtigkeit: Die verheerende Macht der Hilflosigkeit Helferfalle und Pyrrhussieg Aus dem therapeutischen Abc: Vertrauen und Zutrauen 10.7 Grenzverletzung: Die Macht der chronifizierten Übergriffigkeit Die Falle der narzisstischen Kränkbarkeit Aus dem therapeutischen Abc: Abgrenzung, Wertschätzung und Abstinenz von negativer Diagnostik 10.8 Hochrisiko: Machtvorbehalt und Machtspiele Aus dem therapeutischen Abc: Machttauglichkeit Das Spiel der Spiele oder: Mehren, was wirkt 10.9 Ansteckungsgefahr: Das süchtige Virus Aus dem therapeutischen Abc: Achtsamkeit 10.10 Eskalation: Die Spaltung Aus dem therapeutischen Abc: Klarheit und Allparteilichkeit 10.11 Rache am Leben: Selbst- und Fremdzerstörung Kein Gefühl für das Risiko Die Falle der Erpressbarkeit Die mächtigste aller Drohungen: »Ich bringe mich um« Aus dem therapeutischen Abc: Konsequenz und Mitgefühl 11. Der Gegner in der Praxis: Grundlegende Aspekte des suchttherapeutischen Handelns 11.1 Die Scheu von Ärzten und Therapeuten vor Suchtpatienten 11.2 Es liegt etwas in der Luft: Atmosphärisches, Verdecktes und Verdächtiges 11.3 Der Arbeitsplatz: Setting für Körper und Seele Fantasiereise: »Mein ruhender Pol« 11.4 Mindestanforderungen vor Behandlungs- oder Therapiebeginn Spiegelneurone und intuitive Intelligenz Die Falle des Expertentums: »Wer hat den Plan?« Im konkreten Fall: Welche Behandlung ist möglich? 11.5 Der Arbeitsauftrag und die Zielvereinbarung - Der Klient als sein eigener Pilot Paradox: Die nicht freiwillige Therapie Das Arbeitsbündnis als »Tanz« Der Arbeitskontrakt Ein Mustervertrag Vertrag über Interventionsplanung 11.6 Die Ressourcenorientierung - Auf die Dosierung kommt es an! 11.7 Menschlich-therapeutische Interventionsebenen Die Augen der Welt oder Die Arbeit mit dem Blick: Waffe oder Halt Der Ton macht die Musik oder Die Arbeit mit der Sprache Imagination: »Gute Bekanntschaft mit dem inneren Beobachter schließen« Heilsame Berührungen oder Die Arbeit mit dem Körper Körperimagination: »Sich mit dem Körper anfreunden« 11.8 Innere Landschaften von Suchtklienten - Grenzfälle und andere menschlich-therapeutische Herausforderungen. Eine begründete Auswahl Doppeldiagnosen und Komorbiditäten Integrierte Therapie Körperübung: »Begreife dich selbst« Drogeninduzierte Psychosen versus Eigenmächtigkeit spezifischer Rauschdrogen Eine therapeutisch schwierige Abgrenzung Authentisches Erleben oder drogeninduzierte Psychose? Das innere Kind oder »Armer schwarzer Kater« Wachstum durch innere Annahme Das Rufen des inneren Kindes Ein Gedicht als Fallbericht Imagination: »Der sichere Wohlfühlort mit hilfreichen Wesen« Schatten auf der Seele oder Gold im Herzen Depression und Empfindungsfähigkeit Imagination: »Baumübung« 11.9 Berufsrisiko für Ärzte, Therapeuten und sonstige Helfer: Arbeitssucht 11.10 Ein leidenschaftliches Plädoyer für Achtsamkeit und Selbstfürsorge Imagination: »Gepäck ablegen« Tankstellen für Arbeitsfähigkeit und Wohlbefinden Tankstelle 1: »Rücken an Rücken« Tankstelle 2: »Abrahams Schoß« Zurück auf »Start«: Welche Dosis an drogenspezifischem Basiswissen brauchen Ärzte und Therapeuten? Auch Therapeuten und Ärzte sind Mütter und Väter von Söhnen und Töchtern Effektive Prävention Ein Schlusswort mit gelassener Nachsicht Kontaktadresse des Autors Literatur

Schlagzeile

Therapie trotz Suchtproblem