Beschreibung
Vor mehr als 25 Jahren kritisierte Edward Said die Kritische Theorie der Frankfurter Schule dafür, zwar eine aufschlussreiche Analyse der Machtbeziehungen in modernen Gesellschaften vorzulegen, dabei aber über Rassismus oder anti-imperialistischen Widerstand zu schweigen. Was hat sich seitdem verändert? In 'Das Ende des Fortschritts' untersucht Amy Allen das Verhältnis großer zeitgenössischer Denker der Kritischen Theorie, Jürgen Habermas, Axel Honneth und Rainer Forst, zu theoretischen Ansätzen der Dekolonisierung aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit einem frischen Blick fragt sich Allen, selbst Vertreterin der Kritischen Theorie, inwiefern die Vorstellung eines kontinuierlichen Fortschritts unweigerlich eurozentrische oder imperialistische Züge trägt. Dass die Kritische Theorie die besten Werkzeuge bereithält, um emanzipatorische Ziele zu erreichen, stellt sie dabei nicht in Frage. Unter Rückgriff auf die Arbeiten Theodor W. Adornos und Michel Foucaults nimmt sie eine 'Dekolonisierung' der Kritischen Theorie vor und entwickelt einen radikal selbstkritischen Fortschrittsbegriff. Erstmals führt sie so Postkoloniale und Kritische Theorie zusammen und gibt dem Fortschritt eine Zukunft. Mit einem neuen Vorwort von Amy Allen und einem Nachwort von Martin Saar
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Campus Verlag GmbH
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Autorenportrait
Amy Allen ist Professorin für Philosophie, Frauen- Gender- und Sexualwissenschaften an der Pennsylvania State University und eine der bedeutendsten feministischen Theoretikerinnen der Vereinigten Staaten. Zuletzt erschienen von ihr 'The Power of Feminist Theory: Domination, Resistance, Solidarity' (1999) und 'The Politics of Our Selves: Power, Autonomy, and Gender in Contemporary Critical Theory' (2008).
Leseprobe
Vorwort zur deutschen Ausgabe von 2019 Während das Schreiben eines Buchs aufgrund der großen, kontinuierlichen, täglichen Anstrengungen, die der Versuch bedeutet, ein wenig Ordnung und Zusammenhang in ein großes Sammelsurium von Gedanken, Schriften, Quellen, Argumenten und Begriffen zu bringen, eine Übung in Sachen Disziplin ist, ist die Veröffentlichung eines Buchs eine Übung im Loslassen. Ist das Buch einmal in die Welt getreten, dann schlägt es seinen eigenen Weg ein, und die Verfasserin hat nur einen geringen Einfluss auf die Richtung, die es nimmt, und vor allem - was besonders frustrierend ist - darauf, wie es gelesen wird. Und dennoch: Nicht anders als manche Eltern, die sich nicht zurückhalten können, ihren erwachsenen Kindern ungebetene Ratschläge zu erteilen, können auch Autorinnen und Autoren nicht widerstehen, ihre Leserinnen und Leser darüber zu instruieren, wie ihre Werke zu lesen sind. Und so möchte ich, obwohl ich anerkenne, dass ich nicht bestimmen kann, wie mein Buch letztlich interpretiert werden wird, dennoch die Gelegenheit nutzen, anlässlich der deutschen Übersetzung einige Überlegungen über die bisherige Rezeption anzustellen. Als Erstes möchte ich einige Worte darüber sagen, was dieses Buch nicht zu tun versucht. Einige Leserinnen und Leser haben aufgrund meiner Verwendung des Begriffs 'Dekolonisierung' im Untertitel angenommen, dass das Ziel meines Projekts entweder eine vollumfängliche Dekolonisierung der kritischen Theorie oder die Neugründung einer dekolonialen kritischen Theorie ist. Unter dieser Voraussetzung muss freilich Irritation darüber entstehen, dass sich das Buch nicht ausreichend mit dekolonialen Autoren und Texten auseinandersetzt und zu sehr auf dem Terrain der europäischen kritischen Theorie verbleibt, um diese Ziele zu erreichen. Ich gebe zu, dass sich das Buch zwar einem breiteren Spektrum nichteuropäischer Autorinnen und Autoren hätte widmen können, halte es aber für wichtig, darauf hinzuweisen, dass mein Ziel doch sehr viel bescheidener ist, als es diese Deutung annimmt. Wie der Untertitel schließlich auch besagt, richtet sich die 'Dekolonisierungsabsicht' des Buchs auf einen wesentlich spezifischeren, aber dennoch wichtigen Adressaten, nämlich auf das Bemühen der kritischen Theorie darum, ihre normativen Grundlagen entweder in teleologischen Theorien historischen Fortschritts oder in fundamentalistischen Vernunftkonzeptionen wurzeln zu lassen. Was soll hier überhaupt unter 'Dekolonisierung' verstanden werden? Dekolonisierung heißt, die Verwicklungen dieser Strategien zur Begründung von Normativität mit ideologisch eurozentrischen Auffassungen von Vernunft und Fortschritt einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Es heißt, anders ausgedrückt, bestimmte Elemente post- und dekolonialer Kritik (womit die wichtigen Unterschiede zwischen diesen beiden Arten von Kritik nicht übergangen werden sollen, sondern nur gesagt sein soll, dass sie in ihrer Kritik an eurozentrischen Vorstellungen von Vernunft und Fortschritt übereinstimmen) auf die zentralen Strategien zur Normativitätsbegründung in der kritischen Theorie der Gegenwart anzuwenden. Und es heißt, aus dem Inneren der Tradition der kritischen Theorie heraus eine alternative Weise des Nachdenkens über Normativität zu entwickeln, die dieser post- und dekolonialen Art von Kritik gegenüber nicht anfällig ist. Es mag nicht allzu sehr überraschen, dass angesichts der Absicht des vorliegenden Buchs, einen Austausch zwischen der kritischen Theorie der Frankfurter Schule und der post-/dekolonialen Theorie dadurch anzustoßen, dass es eben genau das aus dem Weg räumt, was ich für eines der Haupthindernisse eines solchen Austauschs halte, die kritischen Reaktionen bisher eher geteilt waren. Einige der der gegenwärtigen Frankfurter Schule wohlgesonnene Kritikerinnen und Kritiker hielten meine Ausführungen zu Jürgen Habermas, Axel Honneth und Rainer Forst für so harsch und so wenig wohlwollend, dass sie sie als an eine Strohmann- oder sogar Ad-hominem-Argumentation grenzend verstehen wollten. Es bleibt den Leserinnen und Lesern selbst überlassen, ob meine kritische Diskussion dieser Denker auf einer Rekonstruktion ihrer Ansichten beruht, die tiefgehend, sorgfältig und wohlwollend genug ist, um überzeugend zu sein. Und statt ad hominem zu argumentieren, zielt meine kritische Untersuchung vielmehr auf die (mitunter implizite) Logik der Positionen ab, die sie vertreten. Es sollte zwar selbstverständlich sein, doch ich nutze die Gelegenheit trotzdem, um festzustellen, dass meine Kritik an diesen Autoren in einer enormen Achtung ihnen und ihrem Werk gegenüber gründet. Dem gegenüber waren andere Kritikerinnen und Kritiker, die sich dem Text vom Standpunkt der dekolonialen Theorie aus genähert haben, darüber enttäuscht, dass das Buch nicht noch weiter geht, entweder in seiner Kritik an der kritischen Theorie der Frankfurter Schule oder in seiner Beschäftigung mit der Literatur der post- und der dekolonialen Theorie. Obwohl ich darauf verweisen möchte, dass jedes der zentralen kritischen Kapitel des Buchs sich auf das Werk der bedeutendsten feministischen und queer-postkolonialen Theoretikerinnen und Theoretiker - Saba Mahmood, Jasbir Puar und Gayatri Chakravorty Spivak - bezieht, scheint es mir dennoch unumgänglich, dass, um den kritischen Punkt zum Ausdruck zu bringen, es kein Kapitel gibt, das sich ausschließlich dem Werk einer einzigen post- oder dekolonialen Theoretikerin widmet. Ebenfalls zutreffend ist, dass ich mich zur 'Lösung' des Problems des Fortschritts in der kritischen Theorie nicht Fanon, Dussel, Mbembe, Anzaldúa oder Lugones, sondern Adorno und Foucault zuwende. Was liegt dieser Entscheidung zugrunde? Warum sich nicht stärker mit dem Werk postkolonialer oder dekolonialer Theoretikerinnen und Theoretiker beschäftigen? Warum so tun, als könne die Lösung des Problems des Eurozentrismus der kritischen Theorie im Werk europäischer Denker zu finden sein? Ist das nicht einfach nur eine Rekapitulation genau jenes Problems, das ich zu diagnostizieren behaupte? Vielleicht ist, wie einige Kritiker vorgeschlagen haben, dieses Buch am besten als eine immanente Kritik an der Tradition der kritischen Theorie der Frankfurter Schule zu lesen, die zeigt, welche Aspekte dieser Tradition aus post- oder dekolonialer Sicht problematisch sein können und welche Ressourcen sie bereithalten mag, die einen Beitrag zu einem grundsätzlicher angelegten Projekt einer Dekolonisierung der kritischen Theorie leisten könnten. Wie bereits gesagt, würde ich gewiss nicht so tun, als hätte ich das Projekt in diesem Buch vollständig realisiert, noch würde ich behaupten, dass dies durch die Beschäftigung mit dem Werk europäischer Denker allein gelingen könnte. Wie andere Stränge der europäischen Philosophie bedarf auch die kritische Theorie dringend einer Ausweitung der Texte, Autorinnen und Traditionen, mit denen sie sich über ihren europäischen Horizont hinaus befasst, und wird von einer solchen Ausweitung sehr profitieren. Ich hoffe in diesem Sinne, dass mein Buch einen bescheidenen Beitrag zu diesem Ziel leistet, da es Raum für einen solchen Dialog über Traditionen und Formen der kritischen Theoriebildung hinweg eröffnet, indem es einen Strang der kritischen Theorie der Frankfurter Schule identifiziert, der selbst an einer Kritik des Eurozentrismus mitzuwirken in der Lage ist. Doch obwohl ich fest davon überzeugt bin, dass sich die kritische Theorie der Frankfurter Schule mit anderen, auch außereuropäischen kritischen Traditionen auseinandersetzen muss - was ein ethisches wie auch ein politisches Gebot ist, sowohl deshalb, weil es richtig ist, als auch, weil es für das Überleben und die fortwährende Bedeutsamkeit unseres Felds entscheidend ist -, müssen wir gleichzeitig auch darauf Acht geben, philosophische Positionen oder Texte nicht auf ihren geografischen Ort zu reduzieren. Schließlich gibt es sowohl zutiefst eurozentrische philosophische Werke, die an der Peripherie entstehen, als auc...