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Bildung und Gesellschaft im 21. Jahrhundert

Zur neoliberalen Neuordnung von Staat, Ökonomie und Privatsphäre

Erschienen am 17.04.2019, 1. Auflage 2019
46,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593510125
Sprache: Deutsch
Umfang: 326 S.
Format (T/L/B): 1.9 x 21.7 x 14 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Den Ausgangspunkt des Bandes bildet die Frage, wie sich die neoliberale Neuordnung von Ökonomie, Staat und Privatsphäre im Feld der Bildung niederschlägt. Dabei gehen die Beiträgerinnen und Beiträger auf gesellschaftliche Entwicklungstrends ein wie die Ökonomisierung der Bildung, Humankapitaldiskurse, die Folgen des aktivierenden Sozialstaats für die Soziale Arbeit oder antiegalitäre Dynamiken in der Bildungspolitik. So wird deutlich, dass diese Transformationsprozesse nicht linear verlaufen, sondern widersprüchlich organisiert sein können.

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Autorenportrait

Katharina Walgenbach ist Professorin für Bildung und Differenz an der Fernuniversität Hagen.

Leseprobe

Einleitung Katharina Walgenbach Der vorliegende Band zielt auf eine Zeitdiagnose, die das Verhältnis von Bildung und Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts zum Gegenstand hat. Die zugrunde liegende These ist, dass die neoliberale Neuordnung von Ökonomie, Staat und Privatsphäre auch das Feld der Bildung neu strukturiert. Dabei ist Bildung nicht nur ein relevantes Feld der Einflussnahme, vielmehr verändern die aktuellen gesellschaftlichen Dynamiken auch den historisch konstituierten Charakter der Bildung. Dies betrifft die Neujustierung der institutionellen Verfasstheit des Bildungswesens ebenso wie Bildungspraktiken und Bildungsdiskurse. Nicht zuletzt bringen die Neukonfigurationen auch neue Bildungssubjekte hervor. Es geht also nicht allein darum, dass Bildung heute mit neuen Erwartungen, Anforderungen und Zumutungen konfrontiert ist, sondern, dass sich das Feld der Bildung selbst in einem Transformationsprozess befindet. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass diese Transformationsprozesse nicht linear verlaufen, sondern höchst widersprüchlich organisiert sein können. Des Weiteren kann Bildung nicht als konstitutives Außen in Bezug auf die Ökonomie oder den Staat gefasst werden - es geht also nicht um den schlichten Nachweis, dass etwa das Ideal der humanistischen Bildung durch Ökonomisierungsprozesse kontaminiert wird -, vielmehr wird davon ausgegangen, dass Bildung sich von der Antike, über das Mittelalter bis in die Neuzeit stets in Relation zu den Feldern Ökonomie und Staat moduliert hat. Eine zeitdiagnostische Analyse der Gegenwart hat somit die Aufgabe, das Spezifische der spätmodernen Konstellation von Bildung, Ökonomie und Staat herauszuarbeiten (vgl. Casale 2012a). In diesem Sinne zielen die Beiträge des Bandes auf eine Dechiffrierung aktueller Entwicklungsdynamiken im Bildungsbereich wie etwa die Konsequenzen des Wandels von einem Wohlfahrtsstaat zum aktivierenden Sozialstaat für die Soziale Arbeit (Kessl), die Transformation von Wissen in Kompetenz in Humankapitaldiskursen (Casale/Oswald) oder anti-egalitäre Dynamiken in der Bildungspolitik (Höhne). Anhand von Feldanalysen in den Segmenten Schule (Budde), Elementarbereich (Mierendorff), Universität (Stederoth) und Weiterbildung/Lebenslanges Lernen (Elsholz) wird aufgezeigt, wie sich die Neuordnung des Verhältnisses von Bildung, Staat und Ökonomie Anfang des 21. Jahrhundert gestaltet. Schließlich werden aktuelle rechtspopulistische und rassistische Tendenzen in ihrer Bedeutung für die Transformation von Erziehungs- und Bildungsprozessen reflektiert (Messerschmidt/Mecheril; Baader). Mögliche Gegenentwürfe (Sünker; Stederoth) werden weder in extenso noch in einem adäquaten Spektrum präsentiert - dies war auch nicht das Ziel des Bandes - sie werden aber auch von Autor_innen angesprochen, deren Beiträge nicht in dieser Rubrik situiert sind. Zeitdiagnosen setzen sich immer dem Risiko von Simplifizierungen, schematischen Darstellungen und potenziellen Irrtümern aus, wenn sie Aussagen über gesellschaftliche Entwicklungstrends im Horizont einer longue durée treffen. Deshalb bleibt herauszustellen, dass die aktuellen Transformationsprozesse von Ökonomie, Staat und Gesellschaft auch stets Gegenstand von Konflikten, Kontroversen und Widersprüchen sind. Insofern ist das folgende Zitat von Eva Kreisky und Birgit Sauer nicht allein auf die Transformation von Geschlechterverhältnissen zu beziehen: 'Wir sind Zeugen einer zugegebenermaßen markanten sozialen, ökonomischen und politischen Veränderungskonstellation. Epochen können allerdings immer erst ex post als solche fixiert und wahrgenommen werden. Mithin sind auch historische Übergänge von einer überkommenen in eine andere, neue Konfiguration gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse im Moment der Transformation nur schwer konstatierbar. Der Prozess der Geschichte vermittelt sich uns als mittel- bis längerfristige, umfassende Bewegung von dialektischer Qualität, die bestimmt wird durch einen zeitlich, örtlich und kulturell variablen Spannungsbogen aus Elementen der Bewahrung und Veränderung von Verhältnissen. Welche Kraft in diesem sich unaufhörlich verschiebenden Parallelogramm als die einflussreichere, nachhaltigere und letztlich auch signierende wirken wird, darüber können wir im nur flüchtig faßbaren Augenblick des historischen Geschehens lediglich vage Vorahnungen äußern [].' (1997: 43) Allerdings dürfen die Sozialwissenschaften diesen Risiken bzw. Herausforderungen nicht ausweichen, denn gerade sie sind in Umbruch- und Krisenzeiten gefragt, wissenschaftliche Expertise und analytische Begriffe zu offerieren, die zum Verständnis der Verfassung der Gegenwartsgesellschaft beitragen. Angesichts der Komplexität dieser Aufgabe bleibt der Geltungsbereich der Überlegungen in den Beiträgen meist auf (West-)Europa beschränkt. Wie im obigen Zitat bereits angedeutet, kann zudem nicht davon ausgegangen werden, dass alle Segmente von Bildungsinstitutionen, Bildungspraktiken sowie Subjektivierungsformen quasi einem totalitären Modus der Transformation unterworfen sind, es geht vielmehr um die Untersuchung von Entwicklungstendenzen, die zunehmend hegemonial werden bzw. geworden sind und somit zumindest eine Orientierungsfunktion bzw. Abgrenzungsfolie herausbilden. Dies vorangeschickt, sollen im Folgenden einige der Themenfelder bzw. Begriffe kartiert werden, die der These der Transformation von Ökonomie, Staat und Bildung zugrunde liegen. Zur neoliberalen Neuordnung von Ökonomie, Staat und Privatsphäre Wie der Untertitel des Bandes andeutet, wird dem Neoliberalismus ein entscheidender Einfluss auf die angeführten Transformationsprozesse zugewiesen. Im aktuellen Handbook of Neoliberalism konstatieren die Herausgeber_innen, dass Neoliberalismus meist zur pejorativen Fremdbezeichnung herangezogen wird, was seinen Einsatz als analytischen Begriff erschwert: 'Given the diversity of domains in which neoliberalism can be found, the term is frequently used somewhat indiscriminately and quite pejoratively to mean anything bad []. While there is a strategic reason for such usage, particularly in terms of mobilizing it as a radical political slogan [], such lack of specificity reduces its capacity as an analytic frame. If neoliberalism is to serve as a way of understanding the transformation of society over the last few decades then the concept is in need of unpacking.' (Springer/Birch/MacLeavy 2016: 28) Nach Boas und Gans-Morse gibt es in den Sozialwissenschaften nicht etwa zu viele Definitionen des Neoliberalismus - was bei vergleichbaren Konzepten wie Demokratie oder Populismus durchaus üblich sei -, sondern zu wenige (2009: 140 u. 156). Die Autoren gelangen auf der Basis einer Inhaltsanalyse von 148 internationalen Peer-Review-Artikeln in neun politikwissenschaftlichen Zeitschriften (Zeitraum 1990-2004) zu dem Ergebnis, dass 69 Prozent der untersuchten Beiträge überhaupt keine Definition von Neoliberalismus beinhalten. Des Weiteren werde der Terminus nur in kritischer Absicht verwendet, selten von 'pro-market'-Autor_innen herangezogen und nie zur Selbstbezeichnung genutzt (ebd.: 140). Neoliberalismus soll in diesem Band als eine analytische Kategorie zur Untersuchung der Gegenwartsgesellschaft herangezogen werden. Aus diesem Grund wird ihm eine ausführliche historisch-systematische Rekonstruktion des Begriffs Neoliberalismus vorangestellt (Walgenbach), deren Ergebnis im Folgenden komprimiert zusammengefasst wird. Die Grundpositionen des Neoliberalismus werden dabei in Bezug auf vier Ebenen herausgearbeitet: Ökonomie, Staat, Logiken/Rationalität und Subjektverständnis. Ideengeschichtlich kann der Neoliberalismus auf unterschiedliche Denkschulen (Freiburger Schule, Wiener Schule, Londoner Schule, Chicago School etc.) zurückgeführt werden, die sich seit den 1930er Jahren herausgebildet haben (Renner 2003; Walpen 2004; Birch 2017). Die Denkschulen bestimmen das Verhältnis von Ökonomie, Staat und Gesellschaft mit durchaus unterschiedlich...