Beschreibung
Umweltpolitische Themen gewinnen an Bedeutung für die internationale Politik. In der Praxis erscheinen ökologische Bedenken gegenüber dem Wachstumsimperativ jedoch oft als Papiertiger. Dieses Buch diskutiert am Beispiel der Rohstoffpolitik die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen einer intensivierten Rohstoffausbeutung sowie die damit verbundenen sozialökologischen Konflikte. Außerdem werden Vorschläge für Alternativen zum dominanten Wachstumsmodell analysiert und Anregungen für eine Neujustierung des Entwicklungsbegriffs gegeben.
Autorenportrait
Dr. Stefan Peters ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel. Hans- Jürgen Burchardt ist dort Professor für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen.
Leseprobe
Umwelt und Entwicklung in globaler Perspektive Stefan Peters und Hans-Jürgen Burchardt Entwicklung soll grüner werden. Dies ist eine der zentralen Botschaften der im September 2015 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Sustainable Development Goals (SDGs). Als Nachfolger der Millenniumsziele (MDGs) setzt sich die Weltgemeinschaft mit den SDGs zum Ziel, "economic, social and technological progress [] in harmony with nature" zu bringen (UN 2015: 2). Dies übersetzt sich in 17 Haupt- und 169 Unterziele der Agenda for Sustainable Development, die bis 2030 erreicht werden sollen. Handlungs- und Veränderungsbedarf wird dabei nicht mehr ausschließlich im Globalen Süden verortet; auch vom Globalen Norden wird eine Richtungsänderung eingefordert. Die hierfür verabschiedeten Ziele beinhalten nicht nur die Förderung von Wirtschaftswachstum und die Reduzierung von Armut und Ungleichheit, sondern auch den Kampf gegen den Klimawandel, fortschreitende Desertifikationsprozesse, den Verlust von Biodiversität sowie die Erhöhung des Anteiles erneuerbarer Energien am globalen Energiemix und die Ermöglichung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser für alle Menschen (UN 2015). Diese kursorische Aufstellung der Zielsetzungen und Stoßrichtung der SDGs macht deutlich: Die internationale Politik der kommenden 15 Jahre steht im Zeichen von Umwelt und Entwicklung. Für die Bearbeitung dieser Herausforderungen für die Gegenwart und die Zukunft kann durchaus auf Erfahrungen der Vergangenheit zurückgegriffen werden: So ist etwa das Thema Nachhaltigkeit bereits seit drei Jahrzehnten fest auf der politischen Agenda verankert. Mit dem Brundtland-Bericht von 1987 wurde der Begriff, verstanden als "dauerhafte Entwicklung [], die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können" (Hauff 1987: 46), in der internationalen Politik etabliert. Fünf Jahre später wurde Nachhaltigkeit auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro (1992) gar zu einem globalen Leitbild erhoben. Die Agenda 21 lieferte zudem eine konkrete Programmatik zur politischen Implementierung von Nachhaltigkeitsstrategien. Die Zielsetzung dieser und anderer momentan prominent diskutierter Ansätze (Green Economy, Green New Deal) besteht dabei stets in der Versöhnung von Entwicklung - primär verstanden als Wachstum - und Umweltschutz mittels marktförmiger Instrumente und technologischer Innovationsstrategien (Sachs 1999; Dietz/Engels 2016). Die Ergebnisse dieser Quadratur des Kreises fielen bisher bescheiden aus. Anstatt Umweltprobleme zu lösen, sind die vom Menschen verursachten, massiven Veränderungen der natürlichen Bedingungen zu einem zentralen Charakteristikum unserer Erdepoche geworden und haben unter dem Stichwort Anthropozän sowie mit Fokus auf den Klimawandel Eingang in die wissenschaftlichen, umweltpolitischen und auch gesellschaftlichen Debatten gefunden (Crutzen et al. 2011; Lewis/Maslin 2015). Der Klimawandel veranschaulicht die ökologischen Konsequenzen des bis heute vorherrschenden Wirtschafts- und Entwicklungsmodells besonders eindringlich. So fasst der jüngste Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) die Zukunftsperspektiven der Menschheit wie folgt zusammen: "Fortgesetzte Emissionen von Treibhausgasen werden eine weitere Erwärmung und langanhaltende Veränderungen aller Komponenten des Klimasystems verursachen und damit die Wahrscheinlichkeit von schwerwiegenden und irreversiblen Folgen für Menschen und Ökosysteme erhöhen" (IPCC 2014: 8). Angesichts solcher Befunde sind auch die Erfolgsaussichten der umweltpolitisch beachtlichen Entscheidung der UN Klimakonferenz von Paris Ende 2015, die benchmark für die Erderwärmung auf maximal 1,5° Celsius über die vorindustrielle Zeit festzulegen, skeptisch zu bewerten. Diese Zweifel wurden auf dem jüngsten Weltklimagipfel vom November 2016 in Marrakesch tendenziell bestätigt: Die zögerlichen Verhandlungsfortschritte lassen erkennen, dass die absehbare klimapolitische Zurückhaltung der USA unter dem neuen Präsidenten Donald Trump, die Uneinigkeit der internationalen Gemeinschaft bei zentralen Fragen der Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen sowie widersprüchliche Signale seitens der Europäischen Union substantielle Veränderungen in der internationalen Klimapolitik wenig wahrscheinlich machen (Clémençon 2016; Dröge 2016; Götze/von Brackel 2016). Gleichzeitig überdeckt der Fokus auf den Klimawandel eine Vielzahl von weiteren Umweltproblemen. Diese umfassen den Verlust von Biodiversität, Artensterben, die Übernutzung von Meeren und Agrarflächen, die fortschreitende Desertifikation, Luftverschmutzung sowie die Umweltbelastungen durch die Expansion und Intensivierung der Rohstoffausbeutung. Diese und weitere Beispiele illustrieren, dass die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde (planetary boundaries) bereits heute massiv überschritten werden (Rockström et al. 2009). Laut dem jüngsten Living Planet Report des World Wide Fund for Nature (WWF 2016: 6) bräuchte die Menschheit für das derzeitige Niveau des Ressourcenverbrauchs Zugriff auf 1,6 Erden. Die Vielzahl von Konferenzen, Abkommen und Deklarationen kann somit insgesamt nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bilanz der internationalen Umweltpolitik auch ein Vierteljahrhundert nach der wegweisenden Rio-Konferenz über Umwelt und Entwicklung bescheiden ausfällt. Ein wesentlicher Grund für das Verfehlen umweltpolitischer Ziele liegt im inhärenten Wachstumszwang des westlich geprägten Entwicklungsmodells sowie dem damit verbundenen ressourcenintensiven Wirtschafts- und Konsummodell begründet. Obwohl das öffentliche Bewusstsein dafür steigt, dass die Fortführung und/oder Übertragung des kapitalistischen Entwicklungsmodells mittel- und langfristig zwangsläufig zum ökologischen Kollaps des Planeten führt (klassisch: Meadows et al. 1972), bleibt die Wachstumsfixierung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ungebrochen. Diese Fokussierung auf den Anstieg der Wirtschaftsleistung hat zur Konsequenz, dass die von der internationalen Politik offerierten Leitbilder und Nachhaltigkeitsstrategien - trotz anderslautender Proklamationen - kaum in einen strukturellen oder institutionellen Wandel der praktischen Politik oder gar in ein Abweichen vom Wachstumsparadigma selbst münden. Vielmehr gelingt es ihnen bestenfalls Wachstum weniger umweltschädlich zu gestalten und so die globalen sozialökologischen Verwerfungen des aktuellen Wirtschafts- und Entwicklungsmodells hinauszuzögern (Altvater 2011; Brand 2012; Klein 2014; siehe auch den Beitrag von Dietz und Noever Castelos in diesem Band). Im Feld der Rohstoffpolitik zeigen sich die Grenzen von Strategien zur Versöhnung von Wachstum und Entwicklung einerseits sowie ökologischer Nachhaltigkeit und Umweltschutz andererseits mit besonderer Deutlichkeit. Während sich die internationale Umweltpolitik mit der Vorbereitung von Klimagipfeln und der Ausarbeitung der Sustainable Development Goals beschäftigte, dominierte in der internationalen Rohstoffpolitik eine entgegengesetzte Dynamik: Hohe Wachstumsraten der aufstrebenden Schwellenländer und insbesondere Chinas führten zwischen 2003 und 2013/14 zu kräftigen Steigerungen der Nachfrage nach natürlichen Ressourcen, einem entsprechenden Preisanstieg für agrarische, mineralische und fossile Rohstoffe sowie der deutlichen Ausweitung der Extraktionstätigkeit. Angesichts der Endlichkeit nichterneuerbarer Ressourcen wurde die Welt Zeuge eines technologischen Wettlaufs zur Entwicklung neuer Fördermöglichkeiten (zum Beispiel fracking oder die Ausweitung von Tiefseeerdölförderung), der Intensivierung und territorialen Expansion der Rohstoffförderung sowie einer zunehmenden Rohstoffkonkurrenz im "race for what's left" (Klare 2013). Dies hatte zur Konsequenz, dass das Thema Umwelt und Entwicklung jenseits von Debatten über nachhaltige Entwicklung oder grünes Wachstum um eine weitere Facette erg...