Beschreibung
Stefan George (1868-1933) zählte als Dichter, Prophet und Mittelpunkt eines Kreises ihm grenzenlos ergebener Jünger zu den einflussreichsten Figuren der deutschen Geistesgeschichte. Nach jahrelanger Vorarbeit hat Thomas Karlauf nun die erste George-Biographie in deutscher Sprache vorgelegt: ein faszinierendes Stück Zeit- und Sittengeschichte zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus.Stefan George war unter den deutschen Dichtern im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zweifellos der einflussreichste. Er hat die deutsche Lyrik entscheidend geprägt. Seinen Ruhm verdankte George allerdings weniger seinen Gedichten als vielmehr der Tatsache, dass er sich so perfekt inszeniert hat wie kaum jemand vor ihm. Legendär - und bis heute umstritten - war auch der so genannte George-Kreis, ein dem Dichter treu ergebener Männerbund. An diesem Kreis schwärmerisch begeisterter Jünglinge entwickelte Max Weber sein Modell der 'charismatischen Herrschaft'. An der Person Georges lässt sich zeigen, was Macht über Menschen wirklich bedeutet. In seinem Werk finden sich zahlreiche Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus (George starb 1933), viele sahen in ihm einen 'Wegbereiter'. Und doch steht am Ende dieses Weges das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944: Verübt hat es Claus von Stauffenberg, einer der letzten Vertrauten Georges.Thomas Karlauf hat die gesamte Forschung aufgearbeitet, seine Biographie ist wissenschaftlich auf dem neuesten Stand und wunderbar lebendig erzählt. 75. Todestag Stefan Georges am 4. Dezember 2008 Die erste Stefan-George-Biographie in deutscher Sprache Ausstattung: mit Abbildungen
Autorenportrait
Thomas Karlauf, geboren 1955 in Frankfurt am Main, ging nach dem Abitur nach Amsterdam und arbeitete zehn Jahre für die Literaturzeitschrift 'Castrum Peregrini'. Von 1984 bis 1996 war er Lektor bei den Verlagen Siedler und Rowohlt und führt seither eine Agentur für Autoren in Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen die weithin beachteten Biografien 'Stefan George. Die Entdeckung des Charisma' (Blessing 2007) und 'Helmut Schmidt. Die späten Jahre' (Siedler 2016), sein Buch 'Stauffenberg. Porträt eines Attentäters' wurde im Rahmen des DAMALS-Buchwettbewerbs von einer hochkarätigen Jury als 'historisches Buch des Jahres' und als 'Biografie des Jahres' ausgezeichnet.
Leseprobe
Der 14. Januar 1892, der Tag, an dem der 23-jährige Stefan George den 17-jährigen Gymnasiasten Hugo von Hofmannsthal ultimativ aufforderte, sich endlich mit ihm zu treffen, war ein Donnerstag. Anfang der Woche war George wieder einmal umgezogen: von der Garnisongasse drei Straßen weiter in die Wasagasse, Ecke Türkenstraße, wo er bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Wien ein Dreivierteljahr zuvor Quartier gefunden hatte. Ein Bote war bestellt. Der Brief, den George in der Nacht geschrieben und dann auf 'Donnerstag morgen' datiert hatte, sollte in den 3. Bezirk ans andere Ende der Stadt gebracht werden. Er steckte, ohne jede Anrede, ohne jede Grußformel, bereits im Couvert, als dem Verfasser Zweifel kamen, ob der Adressat den Ernst der Lage erfasse. 'Bitte diesen Brief zu lesen um die unangenehmsten folgen zu verhüten', schrieb George mit Bleistift auf einen Zettel und legte ihn dem Brief bei. Der Dienstmann, der etwa eine halbe Stunde in die Salesianergasse brauchte, sollte dort auf Antwort warten. Also auf etwas hin und Gott weiss welches etwas 'das Sie verstanden zu haben glauben' schleudern Sie einem Gentleman der dazu im begriff war Ihr Freund zu werden eine blutige Kränkung zu. Wie konnten Sie nur so unvorsichtig sein, selbst jeden Verbrecher hört man nach den schreiendsten Indizien. Sie sehen ich rede ganz gesezt und wenn Sie nach einigen Tagen gelassen denken oder nach Jahren so werden Sie mir (mit Ihren werten Eltern deren einziges Kind Sie sind!) sehr verbunden sein dass ich soviel Ruhe bewahrte und nicht sofort das veranlasse was mit Ihrem oder meinem Tod endet. Am Abend zuvor war Stefan George zum wiederholten Mal im ersten Stock der Salesianergasse vorstellig geworden, um nach dem jungen Herrn von Hofmannsthal zu fragen. Dieser hatte ihm am Dienstag zwar einige Bücher geschickt, Georges inständigem Bitten um ein Treffen war er jedoch seit Tagen ausgewichen. Seit seinem Besuch in dessen Pension an Heiligabend hatte sich Hofmannsthal mehrmals verleugnen lassen. George war nur seinetwegen über die Feiertage in Wien geblieben, wartete aber vergeblich; am 14. Januar war seine Geduld erschöpft. Bevor George im März 1891 sein Studium an der Wiener Universität aufnahm, hatte er sich eine kleine Reise nach Verona und Venedig gegönnt. Zwei in Venedig entstandene Gedichte legen die Vermutung nahe, dass Georges Hang zur Schwermut dort erheblich verstärkt wurde. Das eine der beiden 'Gedichte' endet: Ich darf so lange nicht am Tore lehnen, Zum Garten durch das Gitter schaun, Ich höre einer Flöte fernes sehnen, Im schwarzen Lorbeer lacht ein Faun. Das andere Gedicht berichtet im Ton der Ballade von einer schönen und stolzen Venezianerin, die sich mit allem erdenklichen Luxus umgibt, um auf diese Weise der ganzen Stadt, insbesondere ihrem greisen Galan, Unnahbarkeit zu demonstrieren. Am Ende hält sie die Rolle der pompösen Frigiden jedoch nicht durch und gibt sich 'in verhangenem Gemach' einem namenlosen Liebhaber hin; nach dem Akt empfindet sie Schmach. In ihrer Verzweiflung, der glanzvollen Rolle nicht länger entsprechen zu können, sieht sie den einzigen Ausweg darin, sich öffentlich zu demütigen: Besser, alle Welt erfährt, dass sie hier liege, 'niedrig und gebrochen', als dass ein Einzelner sich anmaßt, den Sieg über sie davongetragen zu haben. Ein sprödes, herrisches Wesen und ein bis an die Grenze der Selbstzerstörung getriebener Hochmut: Das Bild der Venezianerin trägt durchaus autobiographische Züge. In Wien, wo er zum Frühjahrsbeginn aus Venedig eintraf, fühlte sich George von Anfang an einsam. Er kannte niemanden und verfügte über keine Empfehlungsschreiben. Auf langen Spaziergängen habe er die ihn südlich anmutende Stadt und ihre Umgebung erkundet, wusste der von George autorisierte Biograph Friedrich Wolters Studium in Wien 1930. Er habe Museen besucht, viel gelesen - mit Vorliebe Texte deutscher Romantiker -, Baudelaire übersetzt, und gelegentlich warf er wohl auch einen Blick in den Hörsaal. Die Ged