Beschreibung
Liebe, Lebenslügen und die Suche nach der eigenen Identität - die gefühlvolle Fortsetzung des Welterfolgs "Geh wohin dein Herz dich trägt" Mit ihrem neuesten Roman kehrt Susanna Tamaro zu den Figuren von "Geh, wohin dein Herz dich trägt" zurück: Nach Jahren der Trennung kommt Marta, Olgas rebellische Enkelin, aus Amerika heim. Doch für eine Aussöhnung ist es zu spät. Olga ist alt geworden, und sie lebt immer mehr in ihrer eigenen Welt. Als sie eines Tages im Garten zusammenbricht und stirbt, muss sich Marta der Vergangenheit stellen. Sie beginnt, ihrer eigenen Herkunft nachzuspüren und erkennt dabei, wo ihre wahren Wurzeln liegen.
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Autorenportrait
Susanna Tamaro wurde 1957 in Triest geboren. Seit ihrem Weltbestseller "Geh, wohin dein Herz dich trägt" gehört sie zu den bekanntesten Gegenwartsautoren Italiens. Ihre Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Leseprobe
Präludium Das erste Zeichen war vielleicht das Fällen des Baumes. Du hattest mir nichts davon gesagt, diese Dinge gingen Kinder nichts an, und so fraß sich die Säge an einem Wintermorgen in die silbrig schimmernde Rinde, während ich in der Schule völlig teilnahmslos von den Vorzügen des kleinsten gemeinsamen Nenners hörte; während ich auf dem Weg zur Pause den Flur entlangschlurfte, rieselte das Leben des Baums in winzigen Spänen den Ameisen auf den Kopf wie Schnee. Das Ausmaß der Verwüstung traf mich, als ich von der Schule nach Hause kam. Auf dem Rasen klaffte dort, wo der Nussbaum gestanden hatte, ein schwarzer Schlund, der schon in drei Teile zersägte und von seinen Ästen befreite Stamm lag daneben, und ein Mann mit blaurotem Gesicht gab sich inmitten schmutziger Dieselabgase alle Mühe, die Wurzeln auszureißen, indem er mit den großen Zähnen eines Baggers daran zerrte; die Maschine knurrte und fauchte zwischen den Flüchen des Arbeiters, rollte rückwärts, stockte: Die verdammten Wurzeln wollten die Erde nicht loslassen, sie klammerten sich hartnäckig fest, tiefer als vorhergesehen. Mein Baum der Baum, mit dem ich aufgewachsen war und der mich, davon war ich überzeugt, bis ins Alter begleiten sollte, der Baum, unter dem ich meine Kinder aufziehen wollte war gefällt worden. Sein Sturz hatte sehr vieles mitgerissen: meinen Schlaf, meine Fröhlichkeit, meine scheinbare Unbekümmertheit. Das Krachen seines Aufpralls, eine Explosion; ein Vorher, ein Nachher; ein verändertes Licht, eine Dunkelheit unterschiedlicher Ausprägung. Dunkelheit des Tages, Dunkelheit der Nacht, Dunkelheit mitten im Sommer. Und aus der Dunkelheit entsteht eine Gewissheit: Schmerz ist der Sumpf, durch den ich waten muss. Nach dem Tod des großen Nussbaums habe ich tagelang geweint. Zuerst hast du versucht, mich zu trösten, wie konnte das Fällen eines Baums eine solche Erschütterung in mir hervorrufen? Auch du liebtest ja die Bäume, nie hättest du so etwas getan, um mich zu ärgern; du hattest es beschlossen, weil der Baum Probleme machte, er stand zu nah am Haus und auch an der Zeder; Bäume brauchen Platz, hast du immer wieder gesagt, und eines Tages, wer weiß, wäre womöglich eine Wurzel aus dem Abfluss der Badewanne gekrochen wie der Fangarm eines Tintenfischs, ich wollte doch nicht, dass etwas so Schreckliches passierte? Du hast versucht, mich zum Lachen oder wenigstens zum Lächeln zu bringen, ohne jeden Erfolg. Jemandem Vorwürfe zu machen lag mir noch nie. Am Abstand zwischen den Planeten ist niemand schuld außer den Gravitationsgesetzen, der Horizont erscheint uns immer unterschiedlich, das wusstest du so gut wie ich, du hast mir doch immer den Kleinen Prinzen vorgelesen: Jeder Asteroid hat seine eigenen Bewohner. Es erstaunte mich nur ein bisschen, dass du nicht an den Affenbrotbaum dachtest: Der Nussbaum war genau wie der Affenbrotbaum. Die Rose, die du mir hinterher gekauft hast, konnte ihn in keiner Weise ersetzen. Eine Rose ist ein Blickfang, beeindruckt durch ihren Duft, doch dann wird sie abgeschnitten, landet in der Vase und zuletzt auf dem Müll. Der geliebte Baum dagegen schlägt Wurzeln um unser Herz, die, wenn er stirbt, vertrocknen, abfallen und zur Erinnerung winzige, aber unauslöschliche Narben hinterlassen. In meiner Kindheit hast du dich abends oft an mein Bett gesetzt und mir Geschichten erzählt; von dem ganzen Reigen aus Prinzessinnen, Zaubersprüchen, Ungeheuern und wunderlichen Begebenheiten blieben mir nur zwei Bilder im Sinn: die gelben Augen der Wölfe und die dumpfen, plumpen Schritte des Golem; die Wölfe lauerten im Wald und an einsamen Wegen, während der Golem überall herumlief, er konnte Türen öffnen und schließen und Treppen hinaufgehen; er fraß keine kleinen Kinder und verwandelte sie auch nicht in Ungeheuer, dennoch schreckte er mich mehr als jedes andere Wesen, eisige Kälte schnürte mir die Luft ab, sobald ich nur an seinen Namen dachte. Von solchen drohenden Schatten bedrängt, hatte ich mich entschlossen, aufzus