Beschreibung
"Frimansson lesen heißt, nah an den Menschen zu sein - und an den Abgründen, in die sie blicken." Westdeutsche Allgemeine Zeitung "Ein ungemein packender Thriller!" Nerikes Allehanda "Eine der besten Krimiautorinnen der Gegenwart." Göteborgs Tidningen
Autorenportrait
Inger Frimansson ist eine der bekanntesten Autorinnen Schwedens. "Die Rattenfängerin" ist das sechste Buch, das nun in deutscher Übersetzung erscheint. Ihr erstes, "Gute Nacht, mein Geliebter" machte sie umgehend berühmt. Es wurde ausgezeichnet mit dem Schwedischen Krimipreis und begründete ihren Ruhm als "schwedische" Minette Walters.
Leseprobe
DAS ERSTE ZEICHEN war eine schwache, eisschillernde Fontäne am Horizont. Jill entdeckte sie genau in dem Augenblick, als jemand rief: »Backbord, yeahhh. da haben wir ihn! We've got it, we've got it!« Sie war darauf gefasst gewesen, sie hatte sich während der vierstündigen Schiffsreise auf dem Außendeck aufgehalten, eingehüllt in ihre Wolldecke hatte sie dagesessen und mit brennenden Augen über das Wasser gespäht. Jetzt stand sie steifbeinig auf, legte die Decke zur Seite und kämpfte sich mit wackeligen Schritten zur Reling vor. Der Wind war aufgefrischt und hatte sich in eine steife Brise verwandelt. Die Wellen rissen am Schiffsrumpf und warfen ihn vor und zurück, Schauer von Salzwasser schlugen aufs Deck und durchnässten ihre Turnschuhe. Der Boden war rutschig. Sie klammerte sich an der Reling fest, ihre Finger schmerzten vor Kälte. Einer der Männer von der Besatzung kam auf sie zu, wahrscheinlich war er es, der gerufen hatte. Sein Gesicht war rund und sonnengebräunt, das Haar klebte feucht an seiner Stirn. Er fasste sie am Ellenbogen und zeigte aufs Meer. »There! You see it? Dort!« Sie drehte sich schnell nach vorn und wurde gewahr, wie ein riesiger, grau schimmernder Körper die Wasseroberfläche durchsprengte, höchstens zwanzig Meter vom Schiff entfernt. Er war so nahe, dass sie nach Luft ringen musste. Es sprühte vor Salz und Wasser, die Sonne brach genau in dem Moment durch die Wolken, und für einen Augenblick konnte sie einen länglichen Kopf ausmachen. »Yes!«, rief der Mann heiser. »Sperm whale, Pottwal.« Jills tränende Augen brannten. »Ja«, flüsterte sie. »Ja, mein Gott, ich sehe ihn!« Sie wandte sich um, um Tor zu rufen, konnte ihn aber nicht entdecken. Als sie wieder aufs Wasser schaute, machte der Wal eine Bewegung zur Seite, schlug mit seiner enormen Schwanzflosse und tauchte ab. Die Wellen schlossen sich über ihm und verwischten die Spuren, ebneten sie ein. Der Mann von der Besatzung beobachtete die Wasseroberfläche. »Für dieses Mal hat er goodbye gesagt. Aber er wird zurückkommen, das kann ich Ihnen versichern.« Er sprach jetzt norwegisch, zumindest eine skandinavische Sprache. Er erinnerte sich an sie: Die einzige Schwedin, sie war zusammen mit dem mageren, verbissenen Typen gekommen, der schon krank aussah, als sie an Bord gingen. SPÄTER SOLLTE ER BEDAUERN, dass er nicht genügend Kraft aufgebracht hatte, um zu ihr nach draußen zu gehen. Sie war so enthusiastisch, ihre Augen hatten einen ganz neuen Ausdruck, als sie, vom Wind durchgepustet und klitschnass, zu ihm in den Salon kam. »Hallo, Tor«, sagte sie und strich sich die Wassertropfen aus dem Gesicht. »Ich wünschte, du hättest das erleben können.« Er lächelte matt. Kurz bevor sie an Bord gegangen waren, hatte jeder seine Postafen gegen Seekrankheit geschluckt. Ihm hatte es allerdings nicht geholfen. Der zehrende Schüttelfrost überkam ihn bereits nach einer halben Stunde, während er im Heck in eine Ecke gezwängt saß, außer Stande, sich zu rühren. »Es wird sicher bald besser«, hatte Jill ihn zu trösten versucht. »Meistens lässt es nach, wenn man sich draußen aufhält.« Außer ihm waren noch andere seekrank. Auf dem Schiff befand sich auch eine Gruppe Russen. Anfangs hatten sie sich laut und eindringlich unterhalten, während sie sich in ihre gelben Regenjacken zwängten, eine Frau hatte sich über die grelle Farbe lustig gemacht und ein paar gekünstelte Laufstegschritte vorgeführt. Sie band sich ein Tuch um ihr Haar und zog einen Taschenspiegel hervor. Zu dem Zeitpunkt lagen sie immer noch am Kai. Es ging ein starker Wind. Ein Fahrradfahrer kämpfte mit den Böen und wurde beinahe umgeworfen, er musste schließlich absteigen und das Rad schieben. Tor sah die Besatzungsleute mit dem Kapitän zusammenstehen und reden. Jedenfalls gestikulierten sie wild mit ihren Händen. Über irgendetwas waren sie uneins. Der Sturm, dachte er. Es ist zu riskant hinauszufahren. Er sah unsicher hinüber zu Jill, sie lächelte ihm aufmunternd zu. Schließlich Leseprobe